A n einem von Wald und einem doppelten Stacheldrahtzaun umgebenen idyllischen See 100 Meilen (160 km) nördlich von Warschau liegt eine einsame Villa, die von der CIA zur Befragung und angeblich auch zur Folterung von Al-Qaida-Spitzenleuten benutzt worden sein soll.
Die Villa auf dem Areal der Akademie des polnischen Geheimdienstes, die nach Markus Wolf, dem ehemaligen Chef der DDR-Auslandsspionage benannt ist, steht im Mittelpunkt einer streng geheimen Untersuchung, in der polnische Staatsanwälte herausfinden wollen, warum die polnische Regierung schwere Verstöße gegen das Völkerrecht und die Übertretung polnischer Gesetze geduldet hat.
Wenn ehemalige polnische Regierungsmitglieder vor Gericht gestellt werden oder die Inhalte der geheimen Ermittlungsakten in den Büros der Staatsanwaltschaft nach aussen dringen, könnten Details der Terrorbekämpfung der USA bekannt werden, die US-Offizielle lieber geheim halten möchten.
Der ermittelnde Staatsanwalt wirft Zbigniew Siemiatkowski, dem ehemaligem Innenminister und Geheimdienstchef Polens, bereits vor, zugelassen zu haben, dass die CIA von Dezember 2002 bis September 2003 in der Villa bei Stare Kiejkuty Gefangene illegal inhaftieren und foltern konnte.
Die Staatsanwaltschaft hat zwei Männer, die jetzt von den USA unbegrenzt in Guantánamo festgehalten werden, bereits als Folteropfer anerkannt: Abd al-Rahim al-Nashiri, einen Saudi, der im Jahr 2000 den Bombenanschlag auf das US-Kriegsschiff USS Cole im Jemen organisiert haben soll und Abu Zubaydah, den die Bush-Regierung einmal als dritthöchsten Al-Qaida Führer eingestuft hat, der aber auch nur ein einfacher Wachmann gewesen sein könnte.
Al-Nashiri droht die Todesstrafe; Abu Zubaydah ist schon seit 10 Jahren eingesperrt, wurde aber immer noch nicht angeklagt. Sie wurden als Opfer anerkannt, weil sie ausgesagt haben, sie seien von US-Behörden illegal nach Polen verschleppt, dort gefoltert und anschliessend ohne Auslieferungsersuchen – also wieder illegal – in Gefängnisse in anderen Ländern verbracht worden.
Die Villa ist von der Strasse aus nicht zu sehen und auch auf Google-Karten nicht zu entdecken. Auf Bitten polnischer Behörden habe Google ihre Lage unkenntlich gemacht, berichtete die polnische Zeitung Gazeta Wyborcza.
Teile der polnischen Regierung sähen es gern, wenn auch alle Informationen über die Vorgänge in der Villa gelöscht würden.
Die Staatsanwaltschaft möchte den Fall aber unbedingt vor Gericht bringen. Die Untersuchung in Polen geht jetzt schon ins fünfte Jahr, und der ermittelnde Staatsanwalt wurde schon zweimal ausgewechselt; letzte Woche wurde angekündigt, die Untersuchung werde noch mindestens bis Mitte Februar 2013 dauern.
Sie ist bis heute die weltweit einzige juristische Ermittlung gegen eine so genannte “Black Site”, also ein geheimes Foltergefängnis der CIA. Die Obama-Regierung hat es abgelehnt, zu untersuchen, was in diesen Gefängnissen, die es u.a. auch in Thailand, Rumänien und Litauen gegeben hat, eigentlich vorging.
Die Ermittlung verlaufe sehr langsam, werde aber ernsthaft betrieben, erklärte Mikolaj Pietrzak, der polnische Rechtsanwalt des Guantánamo-Häftlings al-Nashiri. Die ermittelnde Staatsanwältin Katarzyna Plonczyk und der ebenfalls ermittelnde Staatsanwalt Janusz Sliwa seien spezialisiert auf das organisierte Verbrechen und auf die “Terrorbekämpfung” und „sehr, sehr kompetent“, sagte Pietrzak, der früher ein führender Mitarbeiter der Helsinki Foundation for Human Rights war.
Er wird von der Open Society Justice Initiative, einer US-Stiftung, bezahlt.
„Die Staatsanwaltschaft ermittelt sehr intensiv; sie führt eine sehr breit angelegte, gründliche Untersuchung durch – die aber effektiver sein könnte“, sagte er in einem Interview in Warschau. „Alles könnte sehr viel schneller gehen.“
Die Staatsanwaltschaft hat nach Auskunft der Helsinki Foundation schon 62 Zeugen vernommen und bisher 20 Aktenordner mit Material gefüllt.
Pietrzak fordert Einsicht in alle Dokumente, die im Fall al-Nashiri gesammelt wurden. Es sei im erlaubt worden, in Krakau alle nicht geheimen Unterlagen zu prüfen; der vorher ermittelnde Staatsanwalt habe ihm aber nur einen flüchtigen Einblick in geheime Dokumente gestattet.
Nach seiner Akteneinsicht, sei er aber überzeugt davon, dass sein Klient in der Villa Schreckliches erdulden musste.
„Nachdem ich die vorgelegten Dokumente geprüft habe, bin ich ohne jeden Zweifel davon überzeugt, dass meinem Klienten der Opfer-Status zu Recht zuerkannt wurde.“
Aus freigegeben US-Dokumenten sind einige der Foltermethoden ersichtlich, die von der CIA angewendet wurden; al-Nashiri hat man schon gleich zu Beginn seiner siebenmonatigen Inhaftierung in Stare Kiejkuty angedroht, ihn mit einer laufenden Bohrmaschine oder einer geladenen Handfeuerwaffe zu exekutieren.
Abu Zubaydah wurde mit “Waterboarding” (simuliertem Ertränken) und sog. “erweiterten Befragungstechniken” gefoltert. Es wurden wahrscheinlich auch noch andere Gefangene in die Villa verbracht und einer Behandlung unterworfen, die nach polnischem Recht verboten ist.
Nach freigegebenen Dokumenten aus der Bush-Ära wurde Khalid Sheikh Mohammed, der beschuldigt wird, die Terroranschläge am 11. September 2001 organisiert zu haben, im März 2003 insgesamt 183 mal durch Waterboarding gefoltert. Das könne auch schon geschehen sein, als er noch in Polen war, sagte Irmina Pacho, die das Rechtshilfe-Programm der Helsinki Foundation betreut.
Weil sich Sheik Mohammed in Guantánamo aber selbst verteidigt, kann er in Polen nicht von einem Rechtsanwalt vertreten werden.
Es ist schwierig, einzuschätzen, ob alle Fakten veröffentlicht werden. Die politische Elite Polens steht einer Anklage gegen frühere Regierungsmitglieder ambivalent gegenüber und die US-Regierung hat bisher alle Rechtshilfeersuchen polnischer Anwälte abgelehnt.
Aus Guantánamo kam der US-Bescheid, dass alle Informationen über die Behandlung al-Nashiris geheim bleiben sollen. Die Anwälte des Pentagons und eine Reihe von US-Medien vertreten die Meinung, dass die beim Verhör al-Nashiris eingesetzten Methoden weiterhin geheim gehalten werden müssen.
Der zuständige Militärrichter in Guantánamo wird die Angelegenheit nächste Woche (34. Kalenderwoche) im Rahmen einer Anhörung zu den Anschlägen am 11. September 2001 noch einmal prüfen.
Der polnische Staatspräsident Bronislaw Komorowski hat im Mai 2011 eine „gründliche Untersuchung“ der Vorgänge gefordert und „vor allzu grosser Loyalität gegenüber einem Verbündeten“ gewarnt.
Vier Monate später weigerte er sich aber, seinen Vorgänger Aleksander Kwasniewski von seiner Schweigepflicht in Bezug auf Staatsgeheimnisse zu entbinden, als die Staatsanwaltschaft diesen befragen wollte.
Kwasniewski, der 2008 bestritt, dass es jemals ein geheimes CIA-Gefängnis in Polen gegeben habe, widersetzt sich jeder Strafverfolgung. In einem Interview mit McClatchy Newspapers sagte er, man solle die beteiligten US-Amerikaner und nicht irgendwelche Polen anklagen.
„Man kann die Polen nicht dafür zur Rechenschaft ziehen, dass sie mit den USA zusammengearbeitet haben, das ist unangemessen“, erklärte er.
Der links der Mitte stehende Leszek Miller, der in der Zeit, in der die CIA das Geheimgefängnis in Polen betrieb, Ministerpräsident war, hat die Aussage zu dem CIA-Gefängnis verweigert. Aber der rechts der Mitte stehende jetzige Ministerpräsident Donald Tusk gebraucht hingegen starke Worte.
„Wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert und nicht in einem Bantustan“, sagte er gegen Ende März, als Anklage gegen den früheren Innenminister Siemiatkowski erhoben wurde. „Dieser Fall muss aufgeklärt werden. Daran dürfen weder in Polen noch jenseits des Ozeans irgendwelche Zweifel aufkommen.“
Für Tusk ist die Stunde der Wahrheit gekommen. Letzten Monat hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Polen aufgefordert, noch vor dem 05. September 2012 zu erklären, warum al-Nashiri und Abu Zubaydah der Opfer-Status zuerkannt wurde und alle Abmachungen offenzulegen, die zur Einrichtung eines „geheimen CIA-Gefängnisses“ auf polnischem Territorium geführt haben.
Noch ist vieles unbekannt, was in der “Villa Markus Wolf” geschehen ist: die Rolle, die Vertragsfirmen im täglichen Betrieb des Gefängnisses gespielt haben, der Inhalt der Verhandlungen, die vor der Errichtung des Gefängnisses zwischen den Geheimdiensten der USA und Polens geführt wurden und welche Gegenleistungen Polen möglicherweise dafür erhalten hat, dass es die Einrichtung einer “Black Site” erlaubte.
Informationen über die Geschehnisse in dem CIA-Gefängnis sickern nur nach und nach durch – über Zeitungsberichte, durch vieldeutige Äusserungen der Staatsanwaltschaft und durch die Enthüllungen des wichtigen Politikers Jozef Pinior, eines Abgeordneten des polnischen Senats und des Europäischen Parlaments, der hartnäckig an der Aufklärung des Falles arbeitet.
Im Juni teilte er mit, er habe einen Auftrag über den Bau und die Auslieferung eines Eisenkäfigs an die Villa gesehen.
Seine neueste Geschichte über das CIA-Gefängnis bezieht sich auf eine schriftliche Mitteilung des polnischen Geheimdienstes an die CIA-Leute in der Villa.
Darin werden diese aufgefordert, keine polnischen Halal-Würste der Sorte “Kielbasa” mehr in den Abfall zu werfen, damit die Anwohner nicht erfahren, dass in der Villa bei Stare Kiejkuty Muslime festgehalten werden.
„Daran können die Bewohner des Dorfes erkennen, welche Menschen sich in der Villa befinden.“
Der Journalist Adam Krzykowski, der 2009 viele Flugdaten und eine Computer-Festplatte entdeckte, die den CIA-Ermittlern abhanden gekommen ist, schätzt, dass wahrscheinlich jeweils sechs bis acht, höchstens aber 11 “Terrorverdächtige” bei Stare Kiejkuty festgehalten wurden.
Insgesamt gab es sieben spezielle CIA-Flüge zu dem Flugplatz Szymany, der etwa 15 Meilen von dem Dorf entfernt liegt; nach den Flugdaten, die Krzykowski recherchiert hat, kamen mit dem ersten Flug am 05. Dezember 2002 sieben Passagiere aus Bangkok und mit dem letzten Flug im September 2003 fünf Passagiere.
Ironischerweise führte ein offizieller Besuch des US-Präsidenten George W. Bush in Polen zur Schliessung der Villa im Juni 2003. Bush habe sich so „überschwänglich“ für die gute Zusammenarbeit mit Polen im “Krieg gegen den Terrorismus” bedankt, dass der polnische Staatspräsident Kwasniewski erkannt habe, „dass etwas nicht stimmte“, berichtete die Gazeta Wyborcza im Juni 2011.
Er ordnete eine Untersuchung an, und als dabei herauskam, dass die CIA “Terrorverdächtige” zur Befragung nach Polen flog, liess er das Verhörzentrum schliessen.
Wozu die Ermittlungen in Polen führen, ist noch nicht abzusehen. Pietrzak, der polnische Anwalt al-Nashiris, glaubt, dass die Tusk-Regierung das Verfahren verschleppen möchte. „Sollte jemand angeklagt werden, wird es einen Aufruhr geben“, meinte er.
Andere denken, dass die Untersuchung in Polen noch lange andauern, aber nicht eingestellt werden wird.
„Es sind schon zu viele Fakten aus den Nachforschungen der Staatsanwaltschaft durchgesickert“, erklärte Crofton Black, ein führender Ermittler der britischen Gefangenenhilfsorganisation Reprieve. „Es wäre sicher nicht schwierig, das Ermittlungsverfahren auch jetzt noch einzustellen, aber die Staatsanwaltschaft hat schon zu viele Dokumente erhalten oder eingesehen, und es sind auch schon zu viele Informationen in die Öffentlichkeit gedrungen. Die Katze ist aus dem Sack.“
Carol Rosenberg vom Miami Herald und Barbara Dziedzic, eine Sonderkorrespondentin der McClatchy Newspapers, haben zu diesem Bericht beigetragen.