D ie USA haben Polen versprochen, Archivdokumente über die Massenerschiessung von polnischen Kriegsgefangenen 1940 bei Katyn zu übergeben, schreibt heute die Zeitung Rzeczpospolita.
Polnische Experten rechnen damit, dass diese Dokumente ein Schlaglicht auf die seinerzeitige Haltung der USA zur Untersuchung der Ereignisse werfen werden.
„Das ist eine sehr wichtige Initiative. Wir werden all das erfahren können, was die USA über den sowjetischen Mord an unseren Offizieren gewusst haben“, zitiert die Zeitung den polnischen Vize-Aussenminister Boguslaw Winid.
Polen hatte bereits früher vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg seine Unzufriedenheit über die von Russland durchgeführte Untersuchung des Massakers bei Katyn geäussert.
Das Gericht warf Russland vor, Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Folterverbot) verletzt und einigen Antragstellern nicht ausreichend Informationen über das Schicksal ihrer Angehörigen zur Verfügung gestellt zu haben.
Laut Minister Winid sollen die besagten Archivdokumente nach dem 10. September über das Internet frei zugänglich gemacht werden.
Nach Meinung des polnischen Geschichtswissenschaftlers Wojciech Materski können die freigegebenen Archivmaterialien die Version bestätigen, wonach US-Präsident Franklin Roosevelt von der Nicht-Verantwortung der Deutschen Wehrmacht an der Massenerschiessung von Polen gewusst, jedoch öffentlich das Gegenteil behauptet hatte.
„Roosevelt hatte offensichtlich Angst, dass der damalige sowjetische Staatschef Stalin sich ärgern und die antideutsche Koalition verlassen würde.
Die Amerikaner hatten eine Analyse erstellt, der zufolge der Krieg gegen Japan sich bis in die 50er Jahre hinziehen und die USA 1,5 Millionen Menschenleben kosten könnte.
Die Kriegsteilnahme der Sowjetunion schien damals die einzige Möglichkeit zur Rettung zu sein“, so der Wissenschaftler.
Zum Fall Katyn:
Das Massaker von Katyn im Jahre 1940, bei welchem schätzungsweise über 4.000 Polen, Offiziere, Beamte und Intellektuelle (im Zuge landesweiter Aktionen über 20.000) ermordet wurden, erfuhr gleich mehrfachen “Geschichtsrevisionismus”:
Im April des Jahres 1943 erklärten deutsche und internationale Forscher nach Ausgrabungsarbeiten und Exhumierungen durch Gerichtsmediziner die Täterschaft der Sowjetunion.
Ende 1943 erreichten sowjetische Truppen das Gebiet und führten nun ihrerseits eine Untersuchung durch, die zu dem Ergebnis gelangte, dass es sich um ein Massaker durch deutsche Truppen gehandelt habe.
1946 berichtete die Zeitung “Nordwest-Nachrichten”, herausgegeben durch die britische Militärbehörde und die sowjetische Nachrichtenagentur TASS, dass zehn deutsche Kriegsgefangene am 30. Dezember 1945 von der sowjetischen Justiz für das Massaker von Katyn verurteilt worden waren. Sieben wurden mit dem Tode bestraft und drei zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt.
Am 13. April 1990, nachdem in der UdSSR nach und nach weitere Archive geöffnet worden waren, gestand Michail Gorbatschow offiziell die sowjetische Täterschaft am Massaker von Katyn ein.
Aber auch diese Version bleibt bis heute umstritten und weiterhin Gegenstand einer historischen Debatte in Russland, wonach ein zentrales Dokument in der Beweisführung der sowjetischen Täterschaft, die sog. “Berija – Notiz”, angeblich eine Fälschung sei.