D ie Kanzlerin gibt sich hart: Angela Merkel lehnt die Einführung von Eurobonds weiter ab, die Europäische Zentralbank soll nach ihrer Auffassung keine Rolle bei der Beschaffung von Liquidität einzelner Staaten spielen. Kritiker werfen der deutschen Kanzlerin längst vor, sie gefährde die Eurozone – und den Euro selbst.
Doch Angela Merkel kann weder an den Mehrheiten im Bundestag, im Bundesrat, noch am Bundesverfassungsgericht vorbeiregieren. Und auch die Mehrheit der Deutschen scheint ihr Recht zu geben. Zu tief sitzt das Trauma in der Bevölkerung nach der Megainflation in den 20er Jahren des vergangenen Jahrunderts und den unstabilen Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg.
Den Rückhalt ihrer Chistdemokraten hat die Kanzlerin, wie sich beim Parteitag vor zwei Wochen zeigte. Doch in den europäischen Partnerländern wächst die Wut auf Merkels Sparforderungen. Kann Deutschland den Euro retten?
Polens Aussenminister Radoslaw Sikorski drückte das so aus, bei einem Besuch in Berlin: “Die größte Bedrohung für Polens Sicherheit und Wohlstand wäre heute ein Zusammenbruch der Eurozone. Ich verlange von Deutschland, zu seinem eigenen und zu unserem Wohl, der Eurozone überleben und wachsen zu helfen, denn niemand anderer kann das tun.”
Für euronews sprach Stefan Grobe mit Claudia Kade, Korrespondentin der Financial Times Deutschland in Berlin.
euronews: Und über Deutschland als Retter Europas wollen wir jetzt mit Claudia Kade reden, Korrespondentin der Financial Times Deutschland in Berlin. Claudia, Sie beobachten die Kanzlerin jeden Tag. Der Druck auf Angela Merkel, von den europäischen Partnern, von den Finanzmärkten, wird praktisch täglich immer grösser. Wir haben bei vielen Gelegenheiten gesehen, dass es erst immer “Nein” heisst, dann zögerlich “Jein” und am Ende “Ja”. Werden wir das bei den Eurobonds auch erleben?
Claudia Kade: Ja, ich halte das für ziemlich wahrscheinlich. Die Frage ist nur, wann knickt Angela Merkel ein. Sie hat sich in eine Sackgasse manövriert. Sie will beim Gipfeltreffen in der kommenden Wochen erreichen, dass strengere Sparvorschriften in der EU in Kraft treten sollen, dass die Verträge geändert werden sollen. Und für die Zustimmung ihrer Partnerländer wird sie wahrscheinlich Zugeständnisse machen müssen. Die anderen Länder wollen nämlich Eurobonds, oder sie wollen, dass die EZB in unbegrenztem Umfang Mittel für die Euro-Rettung reinschiesst.
euronews: Wie stark sitzt Merkel tatsächlich im Sattel? Hat Sie für ihre Politik ausreichend Rückhalt, in ihrer Regierung, in der Bevölkerung?
Kade: Ja, für ihren momentanen Kurs hat sie den Rückhalt. Die Zustimmung zu ihr ist auch gewachsen in den vergangenen Monaten. Man hat den Eindruck, sie hat sich über die Sommermonate zu einem entschlossenerem Kurs durchgerungen, auch dazu durchgerungen, die Führungsrolle in Europa tatsächlich offensiv wahrzunehmen, sie hat ja lange gezögert. Aber diese Zustimmung ist eben auch wirklich daran geknüpft, dass sie bei ihrer harten Gangart bleibt und dass sie die EZB nicht in unbegrenztem Umfang in die Eurokrise hineinschlittern lässt, und dass sie auch die Eurobonds abwehrt. Wenn sie da an einer dieser beiden Stellen einknicken würde, dann kann das ganz schnell kippen, sowohl die Stimmung in der eigenen Koalition wie auch die Stimmung in der Bevölkerung.
euronews: Bei Merkels schwachem, aber notwendigem liberalen Koalitionspartner läuft noch bis Mitte Dezember eine Mitgliederbefragung zum Thema Euro-Rettung ab. Was passiert, wenn dieses Referendum Merkels Politik ablehnt? Verlassen dann die liberalen Minister die Regierung? Was kommt dann?
Kade: Das ist ein ganz grosses Risiko, das Merkel jetzt gerade hat. Das ist auch für den Euro-Gipfel nächste Woche schwierig, denn Merkel hat ja die ganze Zeit im Hinterkopf, dass ihre Koalition ja tatsächlich platzen kann, wenn die FDP-Mitglieder sich gegen ihren Euro-Kurs aussprechen. Dann müsste der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler sich an das Votum halten, er hat das auch schon gesagt, er wird die Mitgliederbefragung ernst nehmen. Und dann kann er in dieser Regierung eigentlich nicht mehr mitmachen. Es gibt da Szenarien im Kanzleramt, es wird überlegt, ob man dann eine Regierung der nationalen Einheit bildet, also parteiübergreifend einfach von Fall zu Fall enstcheidet. Neuwahlen, davor scheut die Kanzlerin zurück, denn in Umfragen könnte es dann tatsächlich so ausgehen, dass SPD und Grüne zusammen mit anderen kleinen Parteien vielleicht das Ruder übernehmen, also davor scheut sie schon zurück.
euronews: Es ist klar, dass zur Zeit alle europäischen Regierungen nur begrenzten Spielraum haben. Aber was würde denn ein sozialdemokratischer Bundeskanzler anders machen?
Kade: Ja, das ist interessant. So viel anders würde ein SPD-Kanzler auch nicht agieren, denke ich. Er hätte wahrscheinlich schon vor einem Jahr den Griechen unter die Arme gegriffen, er hätte wahrscheinlich nicht so lange gezögert wie Merkel, um die Gelder freizugeben. Aber inzwischen gibt es auch in der SPD gewichtige Stimmen, die sagen, Eurobonds wollen wir eigentlich gar nicht. Und auch der Euro-Rettungsschirm, der bisher aufgespannt wurde, wurde auch ja auch mit den Stimmen der Sozialdemokraten im Bundestag verabschiedet. Grosse Unterschiede zwischen den grossen Parteien sind da gar nicht auszumachen.
euronews: Claudia Kade war das, Korrespondentin der Financial Times Deutschland in Berlin, vielen Dank für Ihre Einschätzungen.