Aktuelle Studie: Wer und was ist die imperiale Oligarchie?

Studie Schweizer Professoren der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH)

- von Stephan Steins  -

Im Jahr 1992 konnte man im Berliner Manifest lesen:

„Verstärkt formieren sich die westlichen imperialistischen Staaten zu einem globalen Imperium, dessen militärische Konstituierung im weiteren Ausbau der NATO zum NATO-Imperium zum Ausdruck kommt. Durch die wachsende koordinierte Macht des international organisierten Kapitals, verlieren die Nationalstaaten und deren Parlamente zunehmend an Einfluss auf die internationalen ökonomischen Prozesse. (…)

Das sich neu formierende globale kapitalistische Imperium und seine nationalen Agenturen betreiben verstärkt den Abbau demokratischer und sozialer Grundrechte. Durch die internationale Entwicklung verändern sich auch die ökonomischen Grundlagen für einen potentiellen künftigen Faschismus. An die Stelle der Kapitalinteressen des nationalen Kapitals als Basis faschistischer Herrschaft und imperialistischer Strategien, tritt tendenziell das international organisierte Kapital mit seinen transnationalen, imperialen Bedürfnissen.“ [1]

Beim lesen dieser Zeilen kommt man nicht umhin, unweigerlich auch an die aktuelle Situation in Griechenland nach dem Verbot der geplanten Volksabstimmung durch die imperiale Diktatur zu denken.

In den vergangenen 20 Jahren hat sich entsprechend, erst nur im Umfeld der Roten Fahne, in den letzten Jahren verstärkt auch breiter gesellschaftlich und international, ein Diskurs entwickelt, mit dem Ziel die ökonomischen und damit korrespondierend politischen und geostrategischen Entwicklungen und Charakteristika der Epoche präzise zu erfassen und zu formulieren.

Mit dem Ergebnis, dass wir heute an einem Punkt angelangt sind, an welchem es gilt, aus den gewonnenen Erkenntnissen Konsequenzen für ein konkretes sozialistisches Zukunftsprogramm abzuleiten.

Der Grossteil der Linken war in den 1990er Jahren vorwiegend mit sich selbst und der Verarbeitung von 1989 beschäftigt. Die imperiale Entwicklung und die Erarbeitung und Formulierung einer eigenständigen sozialistischen Kritik zur Epoche wurde nicht geleistet und regelrecht verschlafen – und dauert bei den meisten sogar bis heute an.

Nicht einmal das aktuelle Parteiprogramm der SED/PDS/Linke vermag, mittlerweile im Jahre 2011 angekommen, umfängliche überzeugende Antworten auf die Herausforderungen der Zeit zu geben (und will dies vielleicht auch gar nicht). [2]

Erst Jahre nach den Terror-Ereignissen des 11. September 2001 in den USA und in deren Folge der kontinuierlichen Ausweitung des imperialen Krieges, setzt mittlerweile allmählich eine bewusste und konsequente Auseinandersetzung mit dem Anspruch eigenständiger sozialistischer Rezeption und Kritik ein, die nicht in einer der unsäglichen Strömungstraditionen aus der Zeit nach 1933 verhaftet bleibt.

Durch die aktuelle, dramatisch zugespitzte internationale Entwicklung wird jedoch der Kreis jener immer umfangreicher, welche sich den historischen Herausforderungen zu stellen bereit sind.

Dazu trägt jetzt auch eine aktuelle Studie Schweizer Professoren der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich mit dem Titel “The network of global corporate control” bei. [3]

Diese Studie untermauert unsere sozialistische Kritik durch Auswertung konkreter Parameter der Datenbank Orbis (Stand 2007), in welcher Statistiker der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Daten von mittlerweile 44 Millionen Firmen (2007 noch 37 Mio.), Unternehmen und Personen weltweit speichern.

Demnach kontrollieren lediglich 147 global aufgestellte Konzerne mindestens 40 Prozent der Weltwirtschaft und verfügen, gemessen an ihrer eigentlichen Grösse, aufgrund ihrer Vernetzung über überproportional starken Einfluss auf das Weltgeschehen.

Der überwiegende Teil dieser Protagonisten der imperialen Oligarchie hat seinen Ursprung in den USA und Grossbritannien. Vorwiegend handelt es sich um Unternehmen des Finanzsektors. Als einflussreichste Corporation der Welt kristallisierte sich in der Studie die britische Barclays Bank heraus.

Unter den TOP 50 der imperialen Oligarchie finden sich neben den Wall Street-Giganten Capital Group, Merrill Lynch und Goldman Sachs auch der französische AXA-Konzern, die schweizer Bank UBS, die japanische Mitsubishi Financial Group, die niederländische ING Groep und aus Deutschland die Deutsche Bank (Platz 12) und der Allianz-Konzern (Platz 28 ).

Mit der China Petrochemical Group schaffte es ein chinesisches (VR China) Unternehmen noch auf Platz 50 und ist der einzige Konzern in diesem Ranking, der keine Bank, Versicherung, Fonds- oder Investmentgesellschaft ist.

ETH Imperiale Oligarchie

Graphik aus der Studie "The network of global corporate control"

Insgesamt ermittelte die Studie 1.318 Konzerne, die mindestens an zwei anderen Unternehmen Anteile halten, im Durchschnitt sind diese mit 20 weiteren Corporationen verbunden.

Dies führt dazu, dass dieses international organisierte Kapital – obwohl es nur ein Fünftel der globalen Umsätze generiert – insgesamt jedoch vier Fünftel der Umsätze transnationaler Konzerne kontrolliert.

Ferner identifizierten die Wissenschaftler innerhalb dieser Strukturen die sog. „Super-Einheit“ (super-entity) der 147 Elite-Corporationen der imperialen Oligarchie, die ein in sich geschlossenes System konstituiert.

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Die Mitglieder dieser Super-Einheit kontrollieren sich gegenseitig, da sich diese über ein komplexes Geflecht von Beteiligungen grösstenteils in wechselseitigem Besitz befinden.

Die schweizer Studie liefert detailliertes aktuelles Datenmaterial, uns Sozialisten ist die imperiale Entwicklung jedoch keineswegs neu.
U.a. letztes Jahr führte ich dazu in der Roten Fahne aus (Auszug):

Republikanischer Nationalstaat, imperiale Globalisierung und international organisiertes Kapital

Betrachten wir zuerst einmal die ökonomischen Machtverhältnisse, welche die Grundlage für den gesellschaftlichen Gestaltungsspielraum auf nationaler wie internationaler Ebene determinieren. (…) 

Es gibt jedoch qualitative Unterschiede zwischen der Zeit bis Mitte des 20. Jahrhunderts und der heute als „Globalisierung“ beschriebenen Epoche und wir wollen nochmals erläutern, warum wir daher heute vom „international organisierten Kapital“ und vom „Imperium“ (Berliner Manifest, 1992) sprechen. 

Im vor-imperialen Kapitalismus war es noch möglich, innerhalb des Nationalstaates auch das Grosskapital als Subjekt in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung und als Objekt politischer Einflussnahme zu fassen.
 Nationale Rechtsnormen liessen sich auf Unternehmen der produzierenden Industrie und des Finanzkapitals, bspw. Stahlmonopole und Banken, weitestgehend anwenden, da deren Markt vornehmlich der nationale war. Dies bedeutete in der Konsequenz, dass politische Sanktionen bis hin zur Vergesellschaftung durch die Staatsmacht durchgesetzt werden konnten, da der Handlungsspielraum kapitalistischer Konzerne im Wesentlichen nicht über die Grenzen staatlicher Autorität und Gewalt hinaus ragte. 

“Globalisierung” und Internationalisierung der Märkte haben jedoch den Schwerpunkt des Operationsfelds des Grosskapitals aus dem Nationalstaat heraus, auf die internationale Ebene gehoben. Damit diese Internationalisierung vormals rein nationalen Kapitals im Interesse der internationalen Beteiligten, mithin der ehemaligen Konkurrenten, möglichst reibungslos funktioniert, wurde das aus den jeweiligen Nationalstaaten stammende Kapital im globalen Kapitalmarkt, der den strukturellen Überbau bildet, integriert. 
An die Stelle imperialistischer Kriege miteinander um Ressourcen und Märkte konkurrierender nationaler Kapitalisten trat die internationale Kooperation und Vernetzung. 
Im globalen Finanzkapitalismus vereinen sich die objektiven Hauptinteressen des international organisierten (Gross-)Kapitals, hinter welche Belange regionaler und unternehmensspezifischer Natur zurück treten. (…) 

Internationalisierung, internationale Verwebung und gegenseitige Abhängigkeit des Kapitals, welche sich im globalen Finanzkapitalismus bis ins´ Virtuelle erstreckt, hat dieses der Autorität und Gewalt der Nationalstaaten weitestgehend entzogen.
 Droht ein Nationalstaat mit nachhaltiger Einflussnahme oder gar Sanktionierung gegen ein Unternehmen (des international organisierten Kapitals) oder einen ganzen Wirtschaftszweig oder auch die imperiale Finanzpolitik, reagiert das Imperium seinerseits umgehend mit Gegenmaßnahmen, wirtschaftlicher wie politischer, wenn es sein muss auch militärischer Art, zum Nachteil des aufbegehrenden Nationalstaates. 

Im Fall der jüngsten sog. “Finanzkrise” erlebten die Nationalstaaten und ihre Institutionen, wie das international organisierte Kapital, die imperiale Oligarchie, Vorgaben zum Handeln erliess, begleitet von der Drohung, wenn ihr nicht tut, was wir wollen, dann stirbt die Wirtschaft – eine Repression, welche sich gegen die Volkswirtschaften und Gemeinwesen richtete. 
Sozialisten identifizieren heute jenes Imperium, ökonomisch durch das international organisierte Kapital, die imperiale Oligarchie kontrolliert, politisch durch die USA geführt, militärisch im Ausbau der NATO zur globalen Gewalt konstituiert, ideologisch durch den Zionismus geprägt und in Europa über den undemokratischen Zentralismus der Institution EU (Europäische Union) vermittelt. (…) 

Die Identifikation des international organisierten Kapitals und des Imperiums bedeutet innerhalb der marxistischen Analyse und Kritik die Charakterisierung des kapitalistischen Entwicklungstandes. Dies ist relevant um verstehen zu können, mit welchen agierenden Strukturen und Subjekten – namentlich der imperialen Oligarchie – wir es in der Welt von heute konkret zu tun haben und welche geopolitischen Konsequenzen daraus erwachsen.
 
Dass sich so manche Linke mit einer präzisen Identifikation der heutigen Verhältnisse schwer tun, liegt am Anhaften an alte Mythen und Assoziationsmuster, mitunter gar an der Verwechslung industrieller Marken mit den realen Korporationen und Besitzverhältnissen.
 Eine Marke gehört meist einem grösseren Unternehmen, dieses einem Unternehmensverbund, dieser schliesslich ganz oder teilweise einem oder mehreren global integrierten Kapitaldienstleister usw. usf. (…) 

Es gilt zu bilanzieren, dass mit dem Verlust des Nationalstaates an eigenen Handlungsspielräumen in der Konsequenz vor allem der Verlust der Republik als historischer, emanzipatorischer Errungenschaft einhergeht. 
Die mehr oder weniger demokratischen Institutionen des bürgerlichen Staates bestehen zwar strukturell weiter fort, gleichwohl sind diese ihres demokratischen Impetus beraubt, da die Objekte des nationalstaatlichen Gestaltungswillens ausserhalb des eigenen Einflussraumes beheimatet sind und agieren. 
Die demokratische Republik erfährt eine Kastration ihrer originären Wesensbestimmung durch die übergeordnete imperiale Macht und Autorität. 

Das Ergebnis ist die imperiale Diktatur des international organisierten Kapitals, respektive der imperialen Oligarchie.“ [4]

Abschliessend noch einige Worte an diejenigen, die sich selbst sozialistisch verorten und in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht den Weg zur Roten Fahne gefunden haben:
Wo der Barthel den Most holt, dürfte jetzt final geklärt sein – steht also nicht länger abseits und reiht euch ein in den sozialistischen und gesellschaftlichen Diskurs!

  1. Berliner Manifest, Stephan Steins, KPD (Initiative) 1992
  2. Linkspartei: Programmentwurf zwischen Widersprüchen und reaktionärem Unfug, 12.07.2011
  3. The network of global corporate control, Stefania Vitali, James B. Glattfelder, Stefano Battiston, ETH Zürich 10.2011
  4. Imperiale Mythen und die Erneuerung sozialistischer Politik, 28.07.2010

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