D as Süddeutsche Zeitung Magazin weiss aktuell folgendes zu berichten: „Chaos in der Atompolitik, Ratlosigkeit nach Guttenbergs Abgang, kopflose Entscheidungen und atemlose Wahlkämpfe – im Moment versteht kein Mensch die deutsche Politik. Höchste Zeit, sich alles mal von ein paar echten Fachleuten sortieren zu lassen“. [1]
Dort unterhalten sich dann einige der üblichen Verdächtigen aus Funk und Fernsehen (+ André Brie) über das, was sie für Politik halten.
Dies ist insofern interessant zu lesen, weil hier einmal mehr offenbar wird, wie verschiedene Teile unserer Gesellschaft in ihrer Wahrnehmung der Realität immer weiter auseinander driften.
Hier jene, welche entspannt bis heiter über die medial reproduzierte “Realität” plaudern – und offenbar so gar keinen blassen Schimmer davon entwickeln, was sich jenseits dieser Matrix zusammenbraut – nur ansatzweise flackern Irritationen auf, werden aber nicht weiter verfolgt.
Nach der Verbannung von Wissenschaft und Philosophie aus dem, durch die Systemmedien gespiegelten, Geistesleben, ist an deren Stelle so etwas wie eine Kaste professioneller Mainstream-Plaudertaschen getreten. Stets lustig anzuschauen, vermeintlich streitbar und vor allem unverbindlich bis zum Exzess.
Wen des Mittags Bärbel Schäfer nicht zu erreichen vermochte, wird spätestens am Abend Opfer ihres Gatten Michel Friedman.
In besagter Runde schien allein André Brie (SED/PDS/Linke) so etwas wie ein Satori zu haben und merkte an:
„Ich bin inzwischen die politische Correctness leid. Weil man die Dinge nicht mehr wirklich beim Namen nennen kann. [...] Ich erlebe das nach wie vor in meiner Partei, dass man nur Gehör findet, wenn man das alte, verbrauchte, unleidliche marxistisch-leninistische Vokabular wiederholt.
Aber man geht dann auch in die Öffentlichkeit und ist versucht, den Leuten nach dem Mund zu reden. Die Sprache, die wir in der Politik haben [...] ist wirklich gefährlich geworden, weil sie die Probleme vertuscht.“
Nicht überliefert ist, welche Konsequenzen André Brie aus dieser Erkenntnis ableitet, sollte sich die Gelegenheit ergeben, werde ich ihn danach befragen.
Kommen wir zum Punkt: Die politische Topographie des 21. Jahrhunderts ist eine andere, als die veröffentlichte Mainstream-„Realität“ behauptet.
Im Zuge der auch als „Globalisierung“ oder „New World Order“ (NWO) beschriebenen imperialen Entwicklung, bilden sich (aus westlicher Sicht) polarisierend drei Hauptlager um folgende Kernpositionen heraus:
• Imperiale Rechte
Dies sind die Kräfte pro USA und NATO, pro Kriege (imperiale Kriege um Geostrategie und Ressourcen zur Aufrechterhaltung der in ökonomische Klassen strukturierten Konsum-Moderne), pro Totalüberwachung und internationalem Terror, für globalen Kapitalismus und seine imperiale Finanzoligarchie, vor allem auch unter Missachtung des Völkerrechts und Auflösung jeglicher bürgerlicher Freiheits- und Rechtsnormen zugunsten von, den republikanischen Nationalstaaten übergeordneten, Institutionen.
• (neue) Nationale Rechte
Diese Strömungen sind gegen NATO und EU, gegen die imperialen Kriege, für die Verteidigung des Völkerrechts und nationaler Souveränitäten – aber auch pro Kapitalismus auf nationaler Grundlage.
Das Verhältnis zu Demokratie ist je nach Strömung divergierend und reicht von faschistisch/autoritär bis freiheitlich-liberal.
Unter dem Label “rechts” tummeln sich auch Alt- und Neonazis, ebenso wie neue Placebo-Rechte. Intention Letzterer es ist, rechtes Potenzial zu kanalisieren und wieder auf NATO-Linie zu bringen. Zu diesen gehört bspw. der Niederländer Geert Wilders samt politischem Umfeld und seiner Mitstreiter auch in Deutschland.
• Sozialisten
Gegen NATO, EU und alle Institutionen und Konspirationen, die darauf abzielen, die Republik zugunsten der imperialen Entwicklung zu desintegrieren.
Verteidigung des Völkerrechts und der Kulturnation gegen den Imperialismus.
Revolutionäre Überwindung des ökonomischen Klassenverhältnisses, Sturz nicht nur der imperialen Oligarchie, sondern auch der nationalen kapitalistischen Klasse. Unmissverständliches Bekenntnis zu Demokratie, deren Voraussetzung soziale Gerechtigkeit ist.
Die nationale Rechte verkennt natürlich, dass ihr nationaler Kapitalismus lediglich eine historische Etappe auf dem Weg zur kapitalistischen Globalisierung markiert. Ideologisch bedingt identifiziert sie nicht die Bewegungsgesetze des Kapitalismus, dessen Akkumulationsdrang ja gerade die Triebfeder der heutigen imperialen Entwicklung bildet.
Für die imperiale Rechte stellt die nationale Rechte eine besondere Herausforderung dar; denn es sind Eliten aus dem “alten” bürgerlichen Lager, die sich heute vor einem Scheideweg sehen und verstärkt nationalen Alternativen zuwenden.
Dieses Personal speist sich zum einen aus ökonomischen Defiziten (durch die imperiale Entwicklung abgehängtes Bürgertum), aber auch aus Reflexen aufgrund des kulturellen und Werteverfalls in Folge der Nivellierung nationaler Kultur- und Rechtsnormen.
In dem Augenblick, wenn sich zum intellektuellen Potenzial der neuen nationalen Rechten auch noch nennenswerte ökonomische Ressourcen gesellen, könnte es für die imperiale Rechte eng werden.
Nicht zuletzt deshalb ist die imperiale Rechte bestrebt, Organisationsversuche der nationalen Rechten möglichst frühzeitig unter ihre Kontrolle zu bringen.
Die Frage, ob hierbei seitens der NATO auch bereits gemordet wurde, möglicherweise mehrfach, lässt sich bislang nicht vollständig justiziabel beantworten.
Das sozialistische Lager, sofern man derzeit überhaupt von einem solchen sprechen kann, leidet auch heute noch unter den Auswirkungen seiner Liquidation durch den Stalinismus. Und zwar insbesondere auch deswegen, weil die aus der Tradition des Stalinismus und sog. “Realsozialismus” hervorgegangene Partei “DIE LINKE” in weiten Teilen auch 22 Jahre nach 1989 immer noch nicht zu sich selbst gefunden hat – oder aber in anderen Teilen ganz bewusst und zielgerichtet die Transformation zu einer sozialdemokratischen Fraktion der imperialen Rechten betreibt.
Die Herrschenden, die imperiale Rechte, traktiert das sozialistische (wie jedes systemkritische) Potenzial mit Zuckerbrot und Peitsche. Während Sozialisten mit Repressionen jeglicher Art zu ringen haben, bietet das Regime stets jenen Willigen eine Hintertür in Form gesicherter bürgerlicher Existenzen, die bereit sind, ihre Kapitalismuskritik deutlich dezenter und an der Seite der grossen Schwester Sozialdemokratie vorzutragen.
Versteht man die Tendenz in der Entwicklung dieser Polaritäten, lösen sich so manche Detailfragen schnell auf. Allein, was der Erkenntnis in der breite der Gesellschaft im Wege steht, sind die fortwirkenden Assoziationsmuster korrespondierend mit den politischen Diskursen des 20. Jahrhunderts (rechts, links, christlich etc). Waren diese seinerzeit schon fragwürdig genug (Ist Stalinismus links? Ist Krieg christlich? Ist nationale Selbstbestimmung rechts?), so gilt es in der heutigen Mediengesellschaft umso mehr, nicht die Verpackung zur Beschreibung des politischen Gehalts heran zu ziehen, als vielmehr die politische Substanz und Haltung in Grundsatzfragen.
Illustre Beispiele sind im EU-Parlament die Wortgefechte des nationalkonservativen Briten Nigel Farage, der EU-kritisch mehr direkte Demokratie einfordert, mit auf der anderen Seite dem deutschen Sozialdemokraten Martin Schulz und dem “Grünen” Daniel Cohn-Bendit, die beide dem imperialen Zentralismus das Wort reden.
Spätestens dann kommt man um die Frage nicht herum: Wer ist hier eigentlich links und wer rechts?
Gleichwohl; Definitionen dessen was rechts und was links ist sind allerdings keineswegs obsolet geworden. Im Kern bilden die soziale, die Eigentumsfrage, als auch Interpretation und Praxis von Demokratie und damit korrespondierend Grundwerte humanistischer Emanzipation objektive antagonistische Lager heraus.
Die Begriffe links und rechts gründen auf einer objektiven Intention. Ersetzt man links durch sozialistisch und rechts durch kapitalistisch wird das Bild klarer.
Etwas anderes ist es allerdings, wenn die Mainstream-Propaganda ihr Handwerk der Desinformation betreibt. Bspw. wenn die imperiale Rechte, selbst verantwortlich für Kriege, Massenmord, Folter, Guantánamo und Co., für Millionen Opfer weltweit, zu vermeintlichen “Antifa”-Kundgebungen mobilisiert. Denn absurder gehts nimmer.
Aber genau jenes tradierte Weltbild, jene Interpretation der Realität, hollywoodreif inszeniert, soll aufrecht erhalten werden und den Blick auf die realen Verhältnisse verschleiern.
Wer sich selbst zur Antifa erklärt und das Spektakel fortgesetzt am köcheln hält, kann ja eigentlich kein Faschist sein. Und leider funktioniert diese “Logik” in der imperialen Propaganda – aufgrund tradierter Bilder im Bewusstsein der Menschen – immer noch nur allzu gut. [2]
Worauf es heute ankommt ist, dass der kritische gesellschaftliche Diskurs zu einer selbstbewussten und eigenständigen Sprache zurück findet, Mythen, Tabus und Denkverbote konsequent überwindet und entsprechend der historischen Entwicklung und heutigen Realität präzise Begriffe bereit hält.
Denn wer die Sprache beherrscht, beeinflusst erheblich das Denken und in der Konsequenz den Fortgang der Geschichte.
- Gut, dass Sie da sind!, Süddeutsche Zeitung Magazin, 01.04.2011 ↩
- Imperiale Desinformation: Der Schwindel „gegen Rechtsextremismus“, 12.10.2010 ↩