V on Rolf-Henning Hintze (jW) – Gespräch mit Ilan Pappe über sein Buch Die ethnische Säuberung Palästinas, fortgesetzte Besatzung und Schritte zum Frieden im Nahen Osten.
Professor Ilan Pappe (geb. 1954) ist israelischer Historiker. Von 1984 bis 2007 lehrte er an der Universität Haifa, gegenwärtig an der Universität Exeter in England. Sein Buch Die ethnische Säuberung Palästinas (engl. 2006, dt. 2007) löste heftige Angriffe auf ihn aus.
Sie haben in Israel als Historiker viele Schwierigkeiten erfahren und sich am Ende entschieden, eine Arbeit im Ausland anzunehmen. Welche Art von Druck wurde auf Sie ausgeübt?
Ich würde zwischen dem Druck und dem Entschluss, in Europa zu leben, unterscheiden. Druck gab es zunächst einmal in meiner akademischen Umgebung, wo ich isoliert und boykottiert wurde. Ich konnte nicht an Seminaren und Konferenzen teilnehmen, meine Beförderung wurde auf Eis gelegt. Das war der eine Druck.
Das andere waren häufige Todesdrohungen, sie kamen per Telefon, eMail oder per Post. Viele davon waren wahrscheinlich nicht ernst gemeint, sondern nur ein Ausdruck von Hass, aber es gibt den Fall eines Professors, der nach solchen Drohungen mit einer Bombe angegriffen wurde. Ich entschloss mich zum Verlassen des Landes, weil es mir nicht möglich war, einen fruchtbaren Dialog mit meinen akademischen Kollegen und der Gesellschaft allgemein zu haben. Ich meinte, ich würde der Sache, von der ich überzeugt bin, viel mehr nützen können, wenn ich im Ausland arbeiten würde.
Mir wurde immer klarer, dass Israel sehr viel Ähnlichkeit mit der weissen Apartheidgesellschaft in Südafrika auf dem Höhepunkt ihrer Macht hat, wo es unmöglich ist, von innen Veränderungsprozesse zu bewirken. Man kann das nur durch Druck von aussen erreichen.
Sie sagten, es habe keinen Dialog mehr mit Ihren Kollegen gegeben. Wie hat das alles angefangen, sind Ihre Bücher sofort abgelehnt worden, oder gab es am Anfang noch ein gewisses Verständnis?
Die Kollegen gehen so lange mit, wie man im zionistischen Vorstellungsrahmen bleibt. Von dem Augenblick an, wo man sich selbst vom zionistischen Dogmatismus befreit und die Wirklichkeit in einer anderen Weise versteht, gibt es keinen Weg mehr zurück, und das fühlen die Kollegen. Es ist, als wenn man den Rubikon überschritten hat, und sie wissen, dass man einen sehr breiten Fluss überquert hat.
Sie sprachen von der Befreiung vom zionistischen Dogmatismus. Das war wahrscheinlich ein sehr langer Prozess. Über welche Stufen lief er bei Ihnen?
Das war ein langer Weg. Bis 1982, als ich in England inmitten meiner Doktorarbeit war, habe ich nie daran gedacht, mich aus dieser Ideologie herauszubewegen.
In meinem Fall gab es keine dramatische Entwicklung, mich aus dem zionistischen Lager herauszubewegen. Aber drei Faktoren haben bei mir mit zu dieser Veränderung beigetragen, obwohl es danach noch eine Zeit brauchte, bis das reifte.
Da ist einmal die Tatsache, dass ich ausserhalb Israels studierte. Das ist sehr wichtig, da sieht man Dinge in einem anderen Licht. Zweitens der Krieg von 1982 gegen den Libanon. Selbst die Mehrheit der israelischen Presse liess die Menschen im ungewissen. Es war der erste Krieg, an dessen Berechtigung die Menschen einige Zweifel hatten, und nicht nur Menschen der extremen Linken.
Das liess einen nachdenken: Wenn es einen ungerechten Krieg gab, wie war es mit den anderen? Und drittens arbeitete ich schon rund zwei Jahre an Archivmaterial über die Geschehnisse von 1948. Es braucht etwa ein Jahr, bevor man anfängt zu verstehen anfängt. Es braucht Jahre, um es ganz zu verstehen.
Ich begann damals zu begreifen, was 1948 geschah, und was ich sah, war schrecklich für mich. Es ging über alles hinaus, was mir über Judaismus und Zionismus beigebracht worden war. Es war gewaltig.
Wie waren die Reaktionen, als Sie diese Forschungsergebnisse veröffentlichten?
Meine frühen Bücher, so ungefähr bis 2000, wurden von den Israelis nicht besonders wohlwollend aufgenommen, aber sie galten noch als legitim, sie waren irgendwie noch in Ordnung. Im Krieg werden Menschen vertrieben, das geschieht nun mal, aber das stellt die grundsätzliche Moral des Staates noch nicht in Frage.
Aber als ich zu Beginn dieses Jahrhunderts Zionismus als Kolonialismus beschrieb, der Krieg von 1948 als ethnische Säuberung und als ich das israelische Regime in Israel selbst und in den besetzten Gebieten als Apartheid-Regime bezeichnete, bekam ich sehr scharfe Reaktionen zu spüren. Ich wurde wie ein Verräter behandelt.
Die Hauptthese Ihres Buches „Die ethnische Säuberung Palästinas“ ist, dass die Führung um Ben Gurion schon vor der Unabhängigkeit Israels die Palästinenser als Hindernis sah, den Zionismus zu verwirklichen. War dies das Motiv für den berüchtigten Plan Dalet, die Palästinenser systematisch zu vertreiben?
Selbst die kritischen israelischen Zeithistoriker sagen, dass es einen Krieg gegeben hat und im Krieg Menschen vertrieben wurden. Ich sagte hingegen, der Krieg wurde begonnen, um die Menschen zu vertreiben, das ist etwas ganz anderes.
Das Beweismaterial ist meiner Meinung nach eindeutig. Es ist interessant, wenn man sich einmal von der Vorstellung befreit hat, dass nur israelische Juden die israelische Geschichte beschreiben können und liest, was palästinensische Wissenschaftler vor 20 oder 30 Jahren schrieben. Es gab hochintelligente Menschen, z.B. den Historiker Walid Khalidi oder den grossen Philosophen Edward Said, aber noch viele andere Akademiker, die sehr klar sahen, dass der Krieg das Mittel war, mit dem Israel die ethnische Säuberung Palästinas durchführen wollte.
Menschen, die meine These nicht akzeptieren, müssen schon erklären, wie es kommt, dass, bevor der Krieg am 15.Mai 1948 losging, bereits die Hälfte derjenigen Palästinenser, die zu Flüchtlingen wurden, schon Flüchtlinge waren – vor dem Krieg! Wenn der Krieg am 15.Mai begann, warum vertrieb Israel 75.000 Menschen aus Haifa, 70.000 Menschen aus Jaffa, 20.000 aus Akko, 10.000 aus Safad? Praktisch alle städtischen Gebiete Palästinas wurden vor dem 15. Mai 1948 „gesäubert“.
Etwa die Hälfte der Menschen, die zu Flüchtlingen wurden, wurden vertrieben. Sogar die Israelis räumen ein, dass diese während des Krieges vertrieben wurden. Da muss etwas dahinterstehen. Der Krieg ist nicht der Grund, der die Vertreibung erklärt, es muss eine andere Erklärung geben. Und die Beweislage ist sehr eindeutig.
Sie führen das darauf zurück, dass Ben Gurion ein spezielles Verständnis der zionistischen Ideologie hatte?
Ja, dahinter stand, wie die zionistische Ideologie von der Führung der 30er und 40er Jahre interpretiert wurde. Es war nicht der Zionismus allgemein, sondern eine spezielle Auslegung. Sie besagte, man müsse soviel wie möglich von Palästina haben und so wenige Palästinenser wie möglich darin.
Zionistische Führer haben das bei zahlreichen Gelegenheiten ausgesprochen. Die Frage war: Wie ist das zu erreichen? Interessant ist ein Brief Ben Gurions aus den 30er Jahren an seinen Sohn. Darin schrieb er, die beste Gelegenheit, um Palästina jüdischer und weniger arabisch zu machen, seien Kriege.
Sie haben besonderen Wert auf Interviews mit Augenzeugen gelegt. Mit wie vielen haben Sie sprechen können?
Mit Dutzenden von Menschen. Ein Problem war allerdings, dass viele derjenigen, mit denen ich gerne gesprochen hätte, schon gestorben waren. Ich hatte aber dennoch Glück, denn als ich begann, an dem Buch zu arbeiten, hatten junge Palästinenser schon angefangen, mündliche Aussagen von Augenzeugen aufzuschreiben.
So gab es schon Mengen von Material, auch Aussagen von Menschen, die schon gestorben waren. Dieses Material hat mich sehr bereichert, fast möchte ich sagen, es humanisiert einen. Wenn man z.B. liest, dass die israelische Armee bei einem Einsatz 12 Menschen tötete, 150 verwundete und 70 vertrieb, so sind das trockene Zahlen. Ich versuche die Menschen zu sehen, ich will die Namen der Opfer herausbekommen, ich will wissen, was sie fühlten. Ich habe auch mit Verletzten, Überlebenden, gesprochen. Auch mit israelischen Soldaten, die 1948 dabeiwaren.
Als ich den Fall von Tantura (ein palästinensisches Dorf, in dem die israelische Armee am 22. Mai 1948 ein Massaker verübte, R.-H.H.) bearbeitete, stellte ich fest, dass viele von ihnen erleichtert waren, kurz vor ihrem Tod die Wahrheit auszusprechen. Es war schwierig für sie, mit dem, was sie gesehen und getan hatten, zu leben.
Können Sie das konkretisieren?
Es gibt einen Dokumentarfilm über Tantura von dem bekannten palästinensischen Schauspieler und Regisseur Mohammed Bakri, der Film heisst „1948“. Darin interviewt er Amos Kenan, einen bekannten Schriftsteller, der am Massaker von Dawaymeh beteiligt war, wo 400 Palästinenser von den Israelis abgeschlachtet wurden.
Es war erstaunlich, wie sich Kenan plötzlich gegenüber Bakri öffnete. Bakri fragte ihn: „Aber es gab da ein Massaker, nicht wahr?“ Und es war klar, dass Kenan nicht darüber sprechen wollte, er sprach nie darüber. Dann sagte er: „Ja.“ Und als Bakri fragte, was dort geschah, antwortete er: „Diejenigen, die es wissen, wissen es, und die, die es nicht wissen, wissen es nicht.“ Das war alles. Aber das war genug.
Ein anderer Fall: Es gab einen Soldaten namens Ambar, der später ein hoher Offizier der israelischen Armee werden sollte. Anfangs bestritt er, dass in Tantura irgend etwas falsch lief. Aber dann benutzte er interessanterweise eine Parallele aus Nazideutschland.
Er sagte: „Was wir in Tantura gemacht haben, war schlimmer als das, was die Deutschen im Zweiten Weltkrieg mit Kriegsgefangenen gemacht haben.“
Sie geben nie die Einzelheiten an, aber indirekt sagen sie schon etwas. Mich macht so etwas neugierig, dann weiterzuforschen.
Bewertet man die Dokumente ohne solche Aussagen, bleiben es trockene Dokumente, die vielleicht sagen, in Tantura seien irreguläre Dinge vorgekommen. Wie es einer meiner Kollegen mir gegenüber ausdrückte: irreguläre Handlungen, aber kein Massaker.
Und dann entgegnet man: Aber ich habe mit dem Offizier, der dabeiwar, gesprochen und mit Palästinensern, die da waren, ich habe den Bericht der Vereinten Nationen gesehen – und alles zusammen ergibt, dass die irregulären Handlungen ein Massaker waren.
Ben Gurion gilt als Gründungsvater Israels, aber vor ihm gab es andere zionistische Einwanderer, die mit einer anderen Einstellung kamen.
Die frühen Zionisten setzten sich aus zwei Gruppen zusammen. Die ersten kamen 1882, es waren klassische Kolonialisten, übrigens noch nicht besonders zionistisch. Sie wollten Land in Palästina kaufen, sie beschäftigten palästinensische Arbeiter, sie wollten Geld verdienen.
Das war sehr typisch für Europa in den 1880er Jahren. Sie waren zwar Juden und sprachen vom Heiligen Land, aber sie waren eigentlich nicht anders als andere kolonialistische Siedler. Übrigens entschieden sich diese Leute, Arabisch zu lernen.
Aber dann kam die zweite, die wichtige Einwanderergruppe. Das waren die Zionisten des 20.Jahrhunderts, jene, aus denen die zionistische Führung hervorging, Männer wie Ben Gurion und viele andere. Sie kamen 1905/1906.
Sie waren sehr arm und hatten keinen Ort zu leben.
Und wer half ihnen? Die Palästinenser. Es existiert dort eine traditionelle Gastfreundschaft, das ist eine jahrtausendealte Kultur. Man gibt Fremden Nahrung und Unterkunft. Man brachte ihnen bei, das Land zu bestellen.
Und was schrieben Leute wie Ben Gurion in ihre Tagebücher? „Dieser Platz ist voll von Ausländern.“ Die Menschen, die sie aufnahmen, waren für sie die Ausländer. Wenn man das versteht, versteht man die zionistische Mentalität.
Dahinter verbirgt sich die Einstellung: Ich will diese Leute nicht sehen, weil sie Ausländer sind, die sich etwas angeeignet haben, was mir gehört. Die Palästinenser sind Fremde und Eindringlinge, und wir werden sie hinauswerfen.
Wenn man das einmal begriffen hat, versteht man, warum es so schwierig ist, in einen Dialog mit den Palästinensern einzutreten.
Israel scheint vom Frieden heute weiter denn je entfernt. Was müssten Ihrer Meinung nach die ersten Schritte zu einem wirklichen Friedensprozess sein?
Ich denke, zuerst müssten wir unsere Perspektive und unsere Sprache ändern, die Perspektive gegenüber unserer Geschichte und die Sprache in bezug auf unsere Wirklichkeit. Wir sollten verstehen, dass die historische Beschreibung, wonach es in Palästina einen Konflikt zwischen zwei nationalen Bewegungen gibt und es nur auf einen guten Vermittler ankommt, um beide zu versöhnen, der falsche Ansatz war.
Es ist wie in der Medizin, wenn man nicht die richtige Diagnose hat, kann man nicht richtig behandeln. Wir hatten eine falsche Analyse, ich selbst auch, ich schliesse mich da ein.
Wir müssen sehen, dass der Zionismus eine koloniale Bewegung war. Das allein ist ja nicht allzu schlimm, sehr viele Menschen in Europa gehörten zu kolonialen Bewegungen. Der Unterschied ist: Der Kolonialismus dauert auch im 21. Jahrhundert noch an.
Es ist kein nationaler Konflikt, es ist ein Konflikt zwischen einer kolonialistischen Siedlergesellschaft und der einheimischen Bevölkerung. Wenn man diese Analyse nicht annimmt, werden Friedensbemühungen nicht in die richtige Richtung gehen.
Wenn man in eine koloniale Situation Frieden bringen will, braucht man Versöhnungsprozesse, Wahrheitsprozesse, nicht diplomatische Friedensbemühungen.
Gebraucht wird ein Prozess, bei dem die einheimische Bevölkerung zu den israelischen Siedlern, besonders zu denen der dritten Generation, sagt: Wir sind bereit, mit euch zu leben, trotz allem, wir sind bereit zu teilen. Wir können von Glück sagen, dass die Palästinenser das sagen. Es bedeutet, die Siedler als Teil der neuen Realität anzuerkennen, so dass die einen aufhören, Siedler zu sein und die anderen Kolonisierte.
Sehr wichtig ist auch die Sprache. Die Sprache des Friedens setzt voraus, dass das Problem der Besatzung gesehen wird. Man sagt, Frieden heisst, die israelische Besatzung zu beenden. Wir haben gesehen, was die Israelis gemacht haben: Gut, sagten sie, wir beenden die Besatzung, wir kontrollieren zwar den Luftraum, die Grenzen, wir bauen Mauern und wir setzen die Palästinenser in ein grosses Gefängnis, aber die Besatzung ist zu Ende.
In unseren Büchern heisst es jetzt, es gibt keine Besatzung mehr – aber das ist die falsche Sprache. Hoffentlich wird man in Europa verstehen, dass Druck auf Israel ausgeübt werden muss, damit es seinen Weg ändert. Das ist ähnlich wie im Fall Südafrika.
Für Sie ist eine Forderung nicht verhandelbar: das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge.
Ich würde das nicht eine Forderung nennen. Rechte und Forderungen sind zweierlei. Menschen haben Rechte, die auf verschiedenen Ebenen anerkannt sind, manchmal national, manchmal international. Kinder haben auf der ganzen Welt Rechte, sie haben nicht Forderungen. Flüchtlinge haben Rechte, nicht Forderungen.
Nein, die Palästinenser brauchen ihre Rechte nicht einzufordern, das Rückkehrrecht von Flüchtlingen ist international anerkannt. Und das Rückkehrrecht der Palästinenser ist ausdrücklich international anerkannt durch die UN-Resolution 194.
Die Frage ist also nicht die Forderung, sondern: Wie fügt sich dieses Recht in eine Lösung? Über die praktische Anwendung dieses Rechts muss man verhandeln. Nicht nur, weil jetzt vielleicht jüdische Menschen in den Häusern von Palästinensern leben, allerdings wurden die meisten palästinensischen Dörfer plattgemacht.
Oft geht es also nicht mehr um die Rückkehr in die früheren Orte, aber es gibt auch Palästinenser, die in Häusern von vertriebenen Palästinensern leben – das ist eine komplexe Angelegenheit. Kompliziert ist die praktische Seite des Problems, nicht die prinzipielle Seite.
Wenn man die Situation in Gaza betrachtet, so scheint es, als hätte die israelische Regierung nichts aus ihren Fehlern gelernt.
Nein, ich denke nicht, dass die israelische Regierung irgend etwas aus der Gaza-Operation gelernt hat – im Gegenteil. Wir müssen zwei Arten europäischer Reaktionen unterscheiden. Die Zivilgesellschaft war sehr aufgebracht, und das hat definitiv die öffentliche Meinung verändert.
Und es gab die Reaktion der politischen Elite, die sehr lau war und ein gewisses Verständnis zeigte, dass Israel sich schützen müsse. Man war vielleicht nicht ganz mit der exzessiven Anwendung von Gewalt einverstanden, aber die Israelis sagen: Na ja, das müssen sie sagen.
Es gibt eine interessante Untersuchung über Israels politische Elite. Danach kommt alles, was nicht von den europäischen Regierungen stammt, von irgendwie antisemitischen Kräften in der europäischen Gesellschaft.
Die Regierungen sind die vernünftige Stimme Europas. Und was kann man von der Haltung der deutschen Regierung, der dänischen, der slowakischen oder der britischen während der Gaza-Operation lernen? Wenn ich ein israelischer Politiker wäre, würde ich sagen: Ihr könnt weitermachen mit den Operationen, kein Problem.
Man kann nicht verstehen, wovor sich europäische Politiker fürchten – ist es der Vorwurf des Antisemitismus? Dabei gehören die meisten einer Generation an, die nicht an den Verbrechen der Nazis beteiligt war.
Was fürchten sie also? Kann jemand behaupten, ich sei Antisemit, weil ich nicht will, dass unschuldige Kinder abgeschlachtet werden? Ist das Antisemitismus?
Die Stadt München hat Ihnen einen Tag vor Ihrem lange geplanten Vortrag plötzlich die Genehmigung für den zugesagten städtischen Saal entzogen. Waren Sie überrascht, haben Sie ähnliches früher schon erlebt?
Ich habe so etwas zweimal in unterschiedlicher Weise erlebt, in Wien und in Antwerpen. In Wien hat sich die verantwortliche Person am Ende entschieden, nicht nachzugeben. Also die gleiche Geschichte wie in München: Sehr grosser Druck auf die Stadt, meinen Vortrag abzusagen, aber am Ende gab man dem Druck nicht nach.
In Antwerpen sollte ich im Kulturzentrum der Stadt sprechen, auch dort traf ein Brief voller Unwahrheiten wie in München ein, dort wurde mein Vortrag abgesagt. Aber die Entscheidung in München überrascht und enttäuscht mich doch sehr. Zugleich fühle ich mich auch ermutigt, denn ich denke, wir haben einen Punkt erreicht, wo Israel grösste Furcht vor der ausgesprochenen Wahrheit hat.
Wir erlebten in München, welche Art Waffen sie gegen diesen Druck einsetzen. Sie spielen entweder indirekt oder offen die antisemitische Karte, Aber sie missbrauchen das nun schon so lange, dass die Absurdität zum Vorschein kommt, gerade in einem Vorgang wie diesem:
Ein gebürtiger Israeli, der sich für Frieden in Israel und Palästina einsetzt, will seine Ansichten darlegen, die sie mögen oder ablehnen können, und darf nicht sprechen, weil das antisemitisch sei – das entbehrt jeglicher Logik.
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