N ach Aussagen von US-Offiziellen und arabischen Geheimdienstlern soll eine kleine Anzahl von CIA-Agenten im Süden der Türkei operieren und den Verbündeten bei der Entscheidung darüber helfen, welche syrische Oppositionskräfte sie für den Kampf gegen die syrische Regierung mit Waffen beliefern sollen.
Die Waffen, vor allem automatische Gewehre, Panzerfäuste, andere Panzerabwehrwaffen und Munition, werden von einem Netzwerk von Mittelsmännern, u. a. aus den Reihen der Syrischen Muslimbrüder, grösstenteils über die türkische Grenze eingeschleust und nach Auskunft Offizieller von der Türkei, Saudi-Arabien und Katar bezahlt.
Nach Aussage eines höheren US-Offiziellen halten sich die CIA-Agenten seit mehreren Wochen in der Türkei auf, um vor allem zu verhindern, dass Waffen an Aufständische geliefert werden, die mit Al-Qaida oder anderen Terroristengruppen kooperieren. Die Obama-Regierung will den Rebellen bisher keine Waffen zur Verfügung gestellt haben, hat aber zugegeben, dass Syriens Nachbarn das tun.
Ausserdem wurde bekannt, dass US-Geheimdienste den Kampf gegen die syrische Regierung auch durch die Weitergabe verdeckt gesammelter Erkenntnisse unterstützen. Damit versucht Washington den Druck auf den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zu verstärken, dessen Regierung ihr rücksichtsloses Vorgehen gegen die Bevölkerung und die Assad bekämpfenden Milizen weiter eskaliert hat.
Weil Russland aggressivere Schritte gegen die Assad-Regierung blockiert, versuchen die USA und ihre Verbündeten Assads Macht durch diplomatische Bemühungen und die Bewaffnung der Rebellen zu brechen.
Durch ihre Hilfe bei der Einschätzung der unterschiedlichen Rebellengruppen hoffen die US-Geheimdienstagenten in der Türkei, mehr über das wachsende, sich ständig verändernde Netz der syrischen Opposition zu erfahren und neue Verbindungen zu knüpfen.
„Die CIA-Agenten versuchen dort neue Quellen zu erschliessen und Informanten zu rekrutieren“, teilte ein arabischer Geheimdienstvertreter mit, der regelmäßig von seinen US-Partnern informiert wird.
Nach Aussagen US-Offizieller und pensionierter CIA-Mitarbeiter erwägt die US-Regierung zusätzliche Hilfen für die Rebellen, zum Beispiel die Überlassung von Satellitenbildern und anderen detaillierten Geheimdienstinformationen über Positionen und Bewegungen der syrischen Truppen.
Sie überlege auch, ob sie die Oppositionellen beim Aufbau eines eigenen Geheimdienstes unterstützen solle. Es sei aber noch nicht entschieden worden, ob solche Maßnahmen oder noch aggressivere Schritte wie die Entsendung von CIA-Agenten nach Syrien selbst eingeleitet würden.
Die Kämpfe in Syrien könnten sich in den kommenden Monaten noch bedeutend ausweiten, weil sowohl die syrische Regierung als auch die oppositionellen Kämpfer ständig mit neuen Waffen beliefert werden.
Präsident Barack Obama und seine Spitzenleute üben Druck auf Russland aus, damit es aufhört, Syrien, seinen wichtigsten Verbündeten im Mittleren Osten, mit schweren Waffen und Kampfhubschraubern zu versorgen.
„Wir möchten, dass die Waffenverkäufe an das Assad-Regime aufhören, weil seine Streitkräfte ihre Waffen nur gegen die eigene Zivilbevölkerung einsetzen“, erklärte Benjamin J. Rhodes, Obamas stellvertretender Sicherheitsberater für strategische Kommunikation, nach einem Treffen Obamas mit seinem russischen Gegenüber Wladimir W. Putin am Montag in Mexiko.
Sprecher des Weissen Hauses, des US-Aussenministeriums und der CIA wollten die Geheimdienstoperationen zur Unterstützung der syrischen Rebellen, über die auch das Wall Street Journal letzte Woche berichtet hatte, nicht bestätigen.
Offiziell beschränkt sich die Politik der US-Regierung gegenüber Syrien immer noch auf diplomatische Bemühungen und humanitäre Hilfe.
Das US-Aussenministerium teilte am Mittwoch mit, dass sich Aussenministerin Hillary Rodham Clinton am nächsten Donnerstag am Rande einer Konferenz von Aussenministern des asiatisch-pazifischen Raumes in St. Petersburg mit ihrem russischen Partner Sergei W. Lawrow treffen wird.
Die privaten Gespräche werden sich vermutlich auch um die Krise in Syrien drehen.
Das US-Aussenministerium hat unterdessen 15 Millionen US-Dollar für die Belieferung ziviler Oppositionsgruppen mit medizinischem Bedarf und Geräten zur Kommunikation bewilligt.
Weil Obama das Pentagon bereits Anfang März mit Planungen für den Notfall beauftragt hat, stellt es sich weiterhin auf eine Reihe militärischer Optionen ein.
General Martin E. Dempsey, der Chef des US-Generalstabes, erklärte damals vor Senatoren, man bereite sich auf die Einrichtung einer humanitären Luftbrücke, die Überwachung Syriens aus der Luft und die Errichtung einer Flugverbotszone vor.
Das US-Militär hat auch Pläne dafür entworfen, wie (westlich orientierte) Koalitionstruppen Syriens beträchtliche Vorräte an chemischen und biologischen Waffen sichern könnten, wenn die Gefahr besteht, dass sie in einem umfassenden Bürgerkrieg in Syrien in die falschen Hände geraten könnten.
Höhere Vertreter der US-Regierung haben in den letzten Tagen unterstrichen, dass militärische Optionen bisher noch nicht in Betracht gezogen würden.
„Im Hinblick auf Syrien bleibt ein militärisches Eingreifen extrem hypothetisch“, hat auch General Dempsey in diesem Monat vor Reportern geäussert.
Was sich seit März geändert hat, ist die verstärkte Lieferung von Waffen und Munition an die sog. Rebellen.
Nach Aussagen von Mitgliedern des Syrischen Nationalrates und anderer Aktivisten setzen sich die Regierungstruppen mit immer heftigeren Luft- und Artillerieangriffen gegen die verbesserte Koordination, Taktik und Bewaffnung der oppositionellen Kräfte zur Wehr.
Nach Angaben dieser Aktivisten haben türkische Armeefahrzeuge letzten Monat Panzerabwehrwaffen an die Grenze geschafft, die dann nach Syrien geschmuggelt wurden. Die Türkei hat wiederholt bestritten, dass sie der syrischen Opposition etwas anderes als humanitäre Hilfe zukommen lässt, und zwar vor allem durch Auffanglager für syrische Flüchtlinge in der Nähe ihrer Grenze.
Die Aktivisten behaupten, die USA seien über die Waffenlieferungen informiert worden.
US-Militärexperten sind geteilter Meinung darüber, ob diese Waffen die militärische Überlegenheit der syrischen Armee ausgleichen können. „Die Rebellen lernen langsam, wie sie Panzer knacken können“, erklärte Joseph Holliday, der früher als Geheimdienstoffizier der US-Army in Afghanistan gedient hat und jetzt für das Institute for the Study of War (Institut für Kriegsforschung) in Washington die Aktivitäten der “Freien Syrischen Armee” untersucht.
Ein höherer US-Offizier, der Geheimdiensterkenntnisse aus dieser Region auswertet, verglich die Waffen der Rebellen mit “Spielzeuggewehren”, die gegen die schweren Waffen und Kampfhubschrauber der Regierungstruppen wirkungslos blieben.
Der Syrische Nationalrat, die wichtigste Oppositionsgruppe im Exil, hat kürzlich damit begonnen, die verstreuten, lokalen Einheiten, die sich alle der “Freien Syrischen Armee” zugehörig fühlen, zu einer gemeinsam operierenden Truppe zu vereinen.
Rund 10 militärische Koordinierungsräte in verschiedenen Provinzen Syriens sprechen sich jetzt über ihre Taktik ab und tauschen Informationen aus. Die Stadt Homs hat sich bisher aber nicht einbeziehen lassen. Nach Aussagen aus dem Syrischen Nationalrat konnten sich die drei dort kämpfenden Oppositionsgruppen noch nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen.
Jeffrey White, ein Verteidigungsexperte am Washington Institute for Near East Policy, der Videos und Mitteilungen der verschiedenen Rebellen-Bataillone auswertet, teilte mit, in den beiden letzten Monaten habe sich die Zahl der Rebellen-Gruppen von 70 auf etwa 100 erhöht; ihre Stärke variiere von wenigen Männern bis zu einigen hundert Kämpfern.
„Wenn das Assad-Regime genügend Truppen einsetzt, kann es die Rebellion noch niederschlagen“, meinte White. „Wegen der wachsenden Opposition wird das aber immer schwieriger.“
Neil MacFarquhar hat aus Beirut im Libanon zu diesem Bericht beigetragen. Auch Souad Mekhennet war daran beteiligt.
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