V on Jonas Höpken - Lieber Oskar, man muss schon sehr bemüht sein, um Deine Rezension des Buches von Gesine Lötzsch so misszuverstehen, wie es offensichtlich vor allem Brandenburger Funktionären vermeintlich ergangen ist.
Dein Text mit dem im guten Sinne polemisch überspitzten Vergleich von Stalinismus und Kapitalismus weist auf die eigentliche Gefahr der Gegenwart hin, nämlich auf die mögliche Entwicklung des längst nicht mehr gezähmten Kapitalismus zu einem aggressiven, autoritär durchgesetzten und militant aufrechterhaltenen Unrechtsregime.
Mit einer übrigens schon jetzt gigantischen Anzahl von Todesopfern weltweit – noch vor allem im Süden, aber potentiell zunehmend immer mehr auch im vermeintlich zivilisierten Norden der Erdkugel.
Auch ohne zu verhungern oder im Krieg erschossen zu werden, stirbt in unserer Gesellschaft früher, wer zu den Ausgegrenzten gehört. Es ist erschütternd, wie naiv die brandenburgischen Funktionäre dieses aggressive System als „offene Gesellschaft“ verteidigen.
Aus Deinem Text die Schlussfolgerung zu ziehen, Du als ehemaliger SPD-Vorsitzender, der den Sozialismus-Begriff immer von der Freiheit des Einzelnen her definiert und Dich von undemokratischen Sozialismus-Formen immer abgegrenzt hast, wolltest den Stalinismus verharmlosen oder würdest gar für Positionen eintreten, die „mit einer demokratischen Linken nicht vereinbar“ sind, ist bösartig und nicht hinnehmbar.
Der Angriff dient aber nicht in erster Linie Dir als Person, sondern der politischen Richtung, die unserer Partei erst auf Erfolgskurs gebracht hat.
Es ist, wie in einem Artikel auf der Website der Wochenzeitung Freitag gut dargelegt wurde, offensichtlich strukturell bedingt, dass sich seit 1989 überall in Europa in rasantem Tempo ehemalige unkritisch-systemstabilisierende Realsozialisten zu unkritisch-systemstabilisierenden rechten Sozialdemokraten entwickelt haben.
Und rechte Sozialdemokraten sind heute nicht mehr die harmlosen Kanalarbeiter der 70er Jahre, sondern aggressive Verteidiger des Kapitalismus. Aber der Ton der rechten Sozialdemokraten in unserer Partei wird ja offensichtlich immer schärfer.
Du kannst Dich darauf verlassen, dass die grosse Mehrheit der Linken in der Linken diese Auseinandersetzung führen wird, und wir werden und müssen sie gewinnen.
Dabei setzen wir auch auf Dich und sind Dir dankbar für Dein Engagement. In den letzten Wochen habe ich von mehreren Leuten direkt aus der Bundestagsfraktion gehört, dass Du dort als Faktor der Vernunft, der Integration und der Richtungsweisung fehlst.
Es ist nicht nur meine private Meinung, sondern die Meinung von vielen maßgeblichen Persönlichkeiten in unserer Partei, dass es ein Segen wäre, wenn Du in der nächsten Bundestagsfraktion wieder vertreten wärest, also für den nächsten Bundestag wieder kandidieren würdest. Ich hoffe ausserdem, dass Du Dich auf dem kommenden Bundesparteitag deutlich zu Wort meldest, denn Dein Wort und Deine Person bleiben für die Linke unverzichtbar; nicht nur bei der Programmdebatte.
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