D ie Krise der Linken (allgemein, nicht nur bezogen auf die sich so nennende Partei), bzw. jenes Spektrums, welches sich heute selbst als “links” definiert, kommt vor allem in mangelndem Verständnis gegenüber der internationalen historischen Entwicklung zum Ausdruck.
siehe: → Imperiale Mythen und die Erneuerung sozialistischer Politik
Und weil es in dieser Szene an Analyse und Kritik mangelt, gerät u.a. auch der – von vielen sicher gut gemeinte – Antifaschismus dieses politischen Spektrums zur grotesken Farce. Eine Auseinandersetzung mit der heute real existierenden imperialistischen und faschistischen Bedrohung findet in der, von imperialen Desinformanten durchsetzten, subjektiven “Linken” nicht statt. So greift man in der Frage des Antifaschismus auf historische Muster der 1920/30er Jahre als Projektion zurück, ohne dem Wesen nach zu verstehen, mit welcher Herausforderung im Kern man es in der Frage von faschistischer Gefahr und Antifaschismus zu tun hat.
Während man 1933 in Wiederaufführung als Farce inszeniert, stolziert der neue, imperiale NATO-Faschismus ganz ungeniert durchs´ Hauptportal.
Wir wollen dieses Thema exemplarisch anhand der für den 21. August geplanten Demonstrationen in Karlsruhe beleuchten. Für diesen Tag haben sowohl Gruppen der nationalen Rechten eine Demonstration angemeldet, als auch ein Bündnis “Antifaschistisches Aktionsbündnis Karlsruhe” (AAKA) als Gegenkundgebung.
Dabei gehen wir auf zwei Aspekte ein: Das inhaltliche politische Anliegen der Demonstration der nationalen Rechten und den politischen Kontext der vermeintlich antifaschistischen Gegenkundgebung.
Mord bleibt Mord
Die geplante Demonstration der Gruppen der nationalen Rechten steht unter dem Motto „Mord bleibt Mord!“. Um möglichst einem Demonstrationsverbot zu entgehen, haben die nationalen Rechten in ihrem Demonstrationsaufruf den Bezug zum eigentlichen Thema verschleiert, indem sie ihre Aktion offiziell auf § 130 des Ordnungswidrigkeitengesetzes beziehen, der sich mit der Verletzung von Aufsichtspflichten in Unternehmen beschäftigt.
Tatsächlich geht es den Veranstaltern jedoch um den § 130 des Strafgesetzbuches. Gestützt auf dessen Absatz 4 waren in den vergangenen Jahren die jeweils im August im oberfränkischen Wunsiedel aus Anlass des Todestages von Rudolf Heß geplanten Kundgebungen nationaler Rechter und Neonazis verboten worden. In dieser Rechtsnorm heisst es: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.“
Das sog. Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte eine sog. Verfassungsbeschwerde des NPD-Rechtsanwalts Jürgen Rieger gegen die 2005 beschlossene Ergänzung des Paragraphen im vorigen Herbst als „unbegründet“ zurückgewiesen.
Den Demonstrationsaufruf „Mord bleibt Mord!“ kontert das Aktionsbündnis (AAKA) mit der Losung: „Ohne Nazis und Rassisten leben, in Karlsruhe und anderswo!“
Bereits hier fällt auf, dass die Losung des Gegenbündnisses rein gar nichts mit Thema und Inhalt der Demonstration der Nazis zu tun hat. Statt einfach breitenwirksam der These von der Ermordung Rudolf Heß´ durch Fakten zu begegnen und die nationalen Rechten somit argumentativ zu entwaffnen, wird dem eigentlichen Thema völlig ausgewichen und sogar das Recht auf Demonstrationsfreiheit in Frage gestellt.
Wie kommt es also zu einer derart apolitischen Herangehensweise, die sich gleichwohl selbst als aufklärerisch und emanzipatorisch geriert?
Das Problem beginnt bereits damit, dass kaum jemand unter den gutwilligen Antifaschisten weiss, worum es in der Sache überhaupt geht. Und in der Aufrechterhaltung der imperialen Desinformation liegen auch Motiv und Nutzen für die imperiale Rechte (= Kartell der bürgerlichen Parteien pro imperiale NATO/USA/EU) in ihrer Unterstützung dieser Interpretation von “Antifaschismus”.
Erläutern wir also in aller Kürze erst einmal, was hier überhaupt Sache ist: Die Umstände des Todes von Rudolf Heß im Jahre 1987 im Kriegsverbrechergefängnis Berlin-Spandau sind bis heute Gegenstand der historischen Debatte und höchst umstritten.
Die offizielle imperiale Version vom „Selbstmord“ wurde seinerzeit bereits durch den renommierten Rechtsmediziner Prof. Dr. Wolfgang Spann widerlegt. Dieser hatte nach seiner unabhängigen Obduktion der Leiche Heß´ konkludiert, dass aufgrund der für einen Suizid untypischen Strangulierungsmarken am Hals des Toten nicht von Selbstmord ausgegangen werden kann. Diese Expertise ist eindeutig.
Ferner meldeten sich Zeugen zu Wort, namentlich der langjährige US-amerikanische Direktor des Kriegsverbrechergefängnisses Berlin-Spandau Eugene Bird und der Krankenpfleger Rudolf Heß´ Abdallah Melaouhi, die zwar beide nicht unmittelbare Tatzeugen waren, jedoch aus dem inneren Gefängnisbetrieb stammen und davon ausgehen, dass Heß am 17. August 1987 ermordet wurde.
Gefängnisdirektor Eugene Bird lässt sich mit den Worten ein:
„Es war Mord. Das muss einmal gesagt werden.“
Hintergrund der laut Obduktion wahrscheinlichen Ermordung Rudolf Heß´ könnte demnach der Umstand gewesen sein, dass der damalige sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow laut Radio Moskau verkünden liess, Heß noch vor Weihnachten aus der Haft nach Hause zu entlassen.
Aus Sicht des Imperiums und seiner Propaganda wäre daran problematisch gewesen, dass Heß trotz seines hohen Alters möglicherweise noch die Kraft aufgebracht hätte, als Protagonist öffentlich zu Akten und Dokumenten aus der Zeit des zweiten Weltkriegs Stellung zu nehmen, welche noch mindestens bis zum Jahre 2019 im britischen Nationalarchiv The National Archives (TNA) unter Geheimhaltung und Verschluss durch die britischen Behörden gelagert werden.
Dieser gesamte historische Komplex ist recht umfangreich, Die Rote Fahne wird den Fall Heß, nicht nur die Umstände seines Todes, sondern seine Rolle im zweiten Weltkrieg, im Rahmen historischer Forschung nächstes Jahr in einem Projekt ausführlich behandeln.
Linke einmal mehr orientierungslos und ohne eigene Kritik
Es wird höchste Zeit, dass Linke beginnen hinter die imperiale Matrix zu schauen und wieder wissenschaftliches und fundiertes Arbeiten zur Grundlage ihres Wirkens zu machen. Was sich da in den vergangenen Jahrzehnten als vermeintliche “Linke” entwickelt hat, mutet mitunter eher wie ein systemtreuer Popanz zwischen Pisa-Studie und Spassgesellschaft an, denn als revolutionäres politisches Subjekt.
Die Identifikation des international organisierten Kapitals und der internationalen – imperialen – Entwicklung bedeutet innerhalb der marxistischen Analyse und Kritik die Charakterisierung des kapitalistischen Entwicklungstandes.
Dies ist relevant um verstehen zu können, mit welchen agierenden Strukturen und Subjekten – namentlich der imperialen Oligarchie – wir es in der Welt von heute konkret zu tun haben und welche geopolitischen Konsequenzen daraus erwachsen.
Die zwei grössten Organisationen unter den Unterstützern des Aktionsbündnisses (AAKA) sind regionale Gliederungen der Parteien SPD und Bündnis90/Die Grünen.
Also ausgerechnet jene Parteien der imperialen Rechten, die als Bundesregierung Ende der 1990er Jahre die Einbindung der BRD in die neue imperiale NATO-Strategie mit deutscher militärischer Teilnahme an Kriegen durchgesetzt hatten und somit Deutschland wieder als aktive Kriegsnation auf die Weltbühne zurückholten.
In den Kriegen bspw. gegen Jugoslawien und Afghanistan wurden durch den Imperialismus ganze Städte und Dörfer in Schutt und Asche gelegt und wird, in Afghanistan, fortgesetzter Massenmord betrieben.
Soviel also zu der Losung dieser “Antifaschisten” „Ohne Nazis und Rassisten leben, in Karlsruhe und anderswo!“ Hier wird die ganze Absurdität dieses vermeintlichen “Antifaschismus” deutlich.
Es ist die imperiale Rechte, welche heute im globalen Maßstab, im Zuge des Ausbaus des Imperiums, konsequent humanistische, demokratische, emanzipatorische und soziale Rechte abbaut. Krieg, Massenmord, Konzentrationslager, Folter, (internationale) Strukturen und Organisationen, die sich demokratischer Kontrolle entziehen, Totalüberwachung, Armutspolitik und soziale Deklassierung sind jene Verbrechen im Klassenkampf, die wir in ihrer Summe dem Faschismus zuschreiben.
Dies alles beschert uns heute aber nicht etwa die nationale Rechte, sondern die imperiale Rechte – was zu begrifflicher Desorientierung bei vielen Zeitgenossen führt. Denn Faschismus à la ZDF-Historie und Hollywood besteht ja vor allem aus “braunen Uniformen, Ledermänteln und Judenfeindlichkeit” und dies passt so gar nicht zu Parteien, die sich “christlich”, “sozial”, “demokratisch” oder “grün” nennen.
Evidenter Weise macht es wenig Sinn, vorrangig plakativ einen Gegner zu bekämpfen, dem man unterstellt, er wolle Konzentrationslager einführen (und der weit davon entfernt ist, die Macht dazu zu haben), auf der anderen Seite jedoch mit jenen Parteien kooperiert und gegen Faschismus demonstriert, die für das ganz real existierende Regime bzw. NATO-Bündnis von Guantánamo und anderen Lagern, sowie weiterer imperialistischer und faschistischer Verbrechen verantwortlich zeichnen.
Ein solcher trivialer Hollywood-Antifaschismus, mag dieser auch noch so redlichen Absichten entsprungen sein, gerät zwangsläufig zur reinen Ablenkungsdebatte.
Nun stellen sich Manche auf den Standpunkt, dass Rudolf Heß als Nazi sowieso den Tod verdient hatte. Warum also den Fall aufklären wollen?
Halten wir fest, dass Heß nicht zum Tode verurteilt wurde. Und völlig unabhängig davon, wie man zur Todesstrafe stehen mag, geht eine solche Haltung vollständig am eigentlichen Thema vorbei.
Der Punkt hier liegt nicht in den Taten oder Nichttaten des Nazis Heß, sondern in der Autorität und Gewalt, in den Taten und Verbrechen imperialer Dienste und Terrororganisationen jenseits des internationalen Völkerrechts und der mehr oder weniger demokratischen Strukturen und Rechtsnormen des republikanischen Staates.
Heß durch ein imperiales Killerkommando an der Legislative vorbei ermorden zu lassen bedeutet nichts anderes, als genau jene faschistische Tat zu verüben, deren man sein politisches Lager bezichtigt.
Für Linke kann es keine Option sein, historische Wahrheiten deswegen unterdrücken zu wollen, weil Neonazis diese für ihre politischen Ziele missbrauchen könnten. Die so denken, begreifen nicht, dass sie dem neuen Faschismus und Totalitarismus in der Konsequenz in die Hände spielen und dessen Geschäft erledigen.
Die imperiale Rechte benutzt die nationale Rechte, um von sich selbst abzulenken.
Jene Kräfte, welche den Fall Heß (und im weiteren Sinne die Geschichte des 20. Jahrhunderts) nicht aufklären wollen, wollen den Nebel der Desinformation ebenso über den Krieg gegen Jugoslawien, die Vorgänge um 9/11 in den USA, die Kriege und Kriegspropaganda gegen Irak und Afghanistan, den zionistischen Terror in Palästina und die derzeitigen Kriegsvorbereitungen gegen Iran legen.
Das Prinzip ist einfach: Eine Realität die nicht erkannt und nicht verbalisiert wird, kann auch nicht zielgerichtet kritisiert und verändert werden.
In diesem Lichte sind Identifikation, Beschreibung und Kommunikation der Realität bereits ein revolutionärer Akt, weil durch das in Frage stellen imperialer Mythen der Herrschaftsanspruch selbst delegitimiert wird.
Selbstverständlich gilt es für Sozialisten, die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner, namentlich mit der nationalen Rechten und deren Weltanschauung, Politik und Verbrechen zu führen. Allerdings macht dies nur Sinn, wenn wir den Hauptgegner (weil an der Macht), namentlich die imperiale Rechte bzw. den Faschismus an der Macht entsprechend im Fokus haben.
Das was subjektive “Linke” da für den 21. August geplant haben, hat mit linker Politik und Antifaschismus nichts zu tun. Im Gegenteil machen sich diese Akteure zu infantilen Hofnarren und Erfüllungsgehilfen imperialer Mythen, Desinformation und Propaganda.
Für Linke kann es am 21. August in Karlsruhe nur eine Losung geben: Nein zu nationalem UND imperialem Faschismus und die Forderung nach vollständiger Aufklärung der Umstände des Todes Rudolf Heß`.
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