D er türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan hat die Demonstranten im Istanbuler Gezi-Park ultimativ zum Abzug aufgefordert. Der Park sei eine Grünanlage und “keine Besatzungszone”, sagte Erdoğan heute vor Abgeordneten der Regierungspartei AKP in Ankara. „Ich fordere diejenigen auf, die es ernst meinen, sich zurückzuziehen.“
Gleichzeitig verteidigte er das Vorgehen der Polizei und lobte die Einsatzleitung. Erdoğan bezeichnete die Proteste als gezielten Angriff zur Schwächung des Landes.
„Die türkische Wirtschaft war das Ziel dieser Ereignisse“, behauptete Erdoğan, „die Anstrengungen, die unternommen wurden, um dem Image der Türkei zu schaden, sind Teil eines systematischen Plans.“
Am Vormittag war die Lage in Istanbul erneut eskaliert. Die Polizei rückte in der Frühe mit Wasserwerfen, Tränengas und gepanzerten Geländewagen auf den zentralen Taksim-Platz vor, wo es zu neuen Zusammenstößen mit Demonstranten kam. Es gab mehrere Verletzte.
Die Taksim-Plattform, die zu den Organisatoren der Proteste gehört, ruft für den Abend (18.00 Uhr MESZ) zu einer Kundgebung in den umkämpften Gezi-Park.
Bagger räumten unter Polizeischutz Barrikaden, welche die Platzbesetzer zuvor aus Metallteilen einer Grossbaustelle am Taksim-Platz, aus von der Polizei vor mehr als einer Woche zurückgelassenen Absperrzäunen und bei Strassenkämpfen demolierten Autos errichtet hatten.
Die Polizei feuerte danach Tränengas auf Demonstranten.
Istanbuls Gouverneur Hüseyin Avni Mutlu appellierte an die Protestierenden, sich von Provokateuren fernzuhalten. Mutlu zufolge sollen die Protestierenden auf dem Parkgelände unbehelligt bleiben. Einziges Ziel sei es, auf dem Taksim-Platz „alle Plakate und Schilder zu entfernen“, schrieb der Gouverneur auf Twitter.
„Wir werden weder den Gezi-Park und den Taksim-Platz noch euch anrühren“, versicherte er.
Nach Entfernung der Banner der Demokratiebewegung hängte die Polizei eine türkische Fahne und ein Porträt des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk an die Aussenwand eines Gebäudes.
„Jeder Platz ist Taksim, jeder Platz Widerstand“, riefen dagegen die Demonstranten. Die Polizisten appellierten über Lautsprecher, den Widerstand einzustellen: „Liebe Gezi-Freunde. Wir sind unglücklich über die Situation. Wir wollen nicht eingreifen. Wir wollen niemanden verletzen. Bitte zieht euch zurück.“
Der Tourismusstudent Burak Arat schlief nach eigenen Angaben im Gezi-Park, als der Polizeieinsatz begann. „Wir werden kämpfen, wir wollen Freiheit“, sagte der 24-Jährige, bevor er sich zum von Tränengaswolken eingehüllten Taksim-Platz begab. Die Polizei war am frühen Morgen vom Stadtteil Besiktas aus vorgerückt, als nur noch einige tausend Demonstranten auf dem Platz im Herzen Istanbuls ausharrten.
Am Vorabend hatten sich auf dem Platz und im Zentrum der türkischen Metropole erneut tausende Menschen versammelt, um gegen den als autoritär empfundenen Regierungsstil Erdoğans und die unverhältnismäßige Polizeigewalt selbst gegen friedliche Demonstranten zu protestieren.
In der Hauptstadt Ankara wurden Demonstranten in der Nacht von den Sicherheitskräften mit Tränengas auseinandergetrieben. Der Grossteil der Demonstranten ergriff daraufhin die Flucht, Restaurantbesitzer schlossen sich und ihre Gäste in ihren Lokalen ein.
Erdoğan liess am Montagabend ankündigen, dass er sich am Mittwoch mit „einigen führenden Vertretern der Demonstranten“ treffen wolle. „Sie werden über die Fakten informiert und unser Ministerpräsident wird sich anhören, was sie zu sagen haben“, teilte Erdoğans Stellvertreter Bülent Arinc nach einem Ministertreffen in Ankara mit.
Allerdings liess er offen, wen genau Erdoğan am Mittwoch treffen will. Zudem deutete Arinc an, dass „illegale Demonstrationen in der Türkei nicht mehr toleriert werden“.
Zuvor hatte Erdoğan bereits gewarnt, dass „Unruhestifter für ihr Verhalten einen Preis zahlen“ würden.
In der Türkei gibt es seit knapp zwei Wochen Proteste gegen die Regierung Erdoğans. Dabei wurden nach Angaben des türkischen Ärztebunds fast 5.000 Menschen verletzt, Erdoğan verwies am Sonntag auf 600 verletzte Polizisten.
Vier Menschen starben während der Unruhen, drei Demonstranten und ein Polizist.
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