D ie atomkritische Ärzteorganisation IPPNW erinnert daran, dass 27 Jahre nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl Lebensmittel noch immer mit radioaktivem Cäsium kontaminiert sind. Ausgerechnet in Japan wurden vor kurzem in deutscher Heidelbeermarmelade rund 22 Becquerel Cäsium-137 pro Kilogramm (Bq/kg) gefunden, wie der Informationsdienst “Strahlentelex” berichtet.
Da das kurzlebigere Cäsium-134 nicht enthalten war, ist davon auszugehen, dass es sich in der deutschen Marmelade um Cäsium-137 aus Tschernobyl handelt.
Dieses ist mit seiner physikalischen Halbwertszeit von 30 Jahren noch nicht einmal zur Hälfte abgebaut. „In Japan kann die Situation auftreten, dass sich auf dem selben Frühstücksteller Nahrungsmittel befinden, die durch Tschernobyl und durch Fukushima kontaminiert wurden“, so IPPNW-Vorstandsmitglied Dr. Alex Rosen.
„Die geltenden Grenzwerte nehmen erhöhte Krebsraten billigend in Kauf. Das Ziehen von ‚sicheren Grenzwerten‘ an sich ist irreführend: Verstrahlung stellt stets ein zusätzliches relatives Gesundheitsrisiko dar.“
In einer Reaktion vom 12. April bestätigte der Hersteller, dass Marmelade auf den Markt gebracht wurde, die radioaktiv kontaminiert war. Man halte jedoch den EU-Grenzwert ein und habe sich hausintern einen niedrigeren Wert zum Ziel gesetzt.
Dass es sich um keinen Einzelfall handelt, zeigen Messergebnisse des japanischen Gesundheitsministeriums aus dem Jahr 2012, wonach in österreichischen und französischen Heidelbeermarmeladen Belastungen zwischen 140 und 220 Bq/kg Radiocäsium gefunden wurden.
Ebenso sind auch Waldpilze und Wildschweine in Süddeutschland wie auch in anderen Regionen Europas teilweise noch immer mit weit mehr als 600 Bq/kg kontaminiert.
Die erschreckenden gesundheitlichen Folgen von Tschernobyl werden in der westlichen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Laut IPPNW-Vorstandsmitglied Dr. Dörte Siedentopf berichten Tschernobyl-Initiativen zunehmend von “sudden deaths”, die mutmaßlich auf Gefässveränderungen durch kontaminierte Nahrungsmittel zurückzuführen seien.
Tatsächlich bestätigen auch neuere wissenschaftliche Untersuchungen einen Zusammenhang zwischen Strahlenbelastung und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ein internationales Forscherteam um Mark Little kam in einer Studie zum vorläufigen Ergebnis, dass die strahlenbedingte Mortalität (Sterberate) auf Grund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen etwa genauso hoch sei wie diejenige durch strahlenbedingten Krebs.
Amtliche Statistiken bieten leider ein nur unscharfes Bild. Dr. Siedentopf weist darauf hin, dass es in der Tschernobyl-Region vermieden wird, Krebs als Todesursache anzugeben. Dennoch zeigen beispielsweise auch die Fallzahlen für Leukämien des “Belarusian Republican Registry of Hemoblastoses” die Folgen von Tschernobyl.
Eine aktuelle Untersuchung von IPPNW-Beiratsmitglied Dr. Alfred Körblein ergab, dass in Weissrussland die Leukämierate bei Kindern im Jahr 1987, ein Jahr nach der Reaktorkatastrophe, um 33 Prozent angestiegen ist.
Einen zweiten Anstieg gab es im Zeitraum 1990 bis 1992. Bei Kindern unter einem Jahr lag die Erhöhung 1987 sogar bei 152 Prozent.
„Atomunfälle wie Tschernobyl und Fukushima verursachen einen schleichenden Tod, der in der öffentlichen Wahrnehmung ignoriert und von den Regierungen sogar abgetan werden kann, weil sich die strahlenbedingten Erkrankungen und das vorzeitige Sterben über Jahre und Jahrzehnte hinziehen“, so Siedentopf.
„Wer wie ich seit mehr als 20 Jahre die Tschernobyl-Region regelmäßig besucht, sieht vor Ort, dass es praktisch keine Familie gibt, die nicht durch Krankheit oder Tod betroffen wäre: Tumoren in allen Organen bei Kindern und Erwachsenen, frühkindlicher Diabetes, Linsentrübungen, Karies, Krankheiten durch Gefässveränderungen, Herzinfarkte und Schlaganfälle im mittleren Lebensalter, Immunschwäche und vieles mehr.
Es darf nicht zu einer weiteren Atomkatastrophe kommen! Deswegen müssen in Deutschland wie auch in unseren europäischen Nachbarstaaten, in Nordamerika und in Asien die noch betriebenen Atomkraftwerke umgehend stillgelegt werden“, fordert Siedentopf.
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