A m Sonntag gründete sich die neue Partei AfD (Alternative für Deutschland). Wir wollen uns an dieser Stelle nicht mit den zahlreichen Spekulationen aus allen Richtungen zu dieser Parteineugründung befassen, sondern mal ganz konkret das Programm unter die Lupe nehmen.
Über den tatsächlichen Charakter der Partei und ihrer Politik wird das künftige tagespolitische Handeln noch Auskunft geben, bislang ist man erst einmal gut beraten, sich mit den real existierenden Positionen auseinanderzusetzen.
Linkspartei in Existenznöten
Eine Zahl sorgte dieser Tage für besondere Aufmerksamkeit; laut Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap vom 07.04. könnten sich knapp 30 Prozent der Linkspartei-Wähler (das sind mehr als von den anderen Parteien) vorstellen, bei der Bundestagswahl die AfD zu wählen.
Würden diese Wähler so votieren, wäre dies das Aus für den Wiedereinzug der SED/PDS/Linke in den Bundestag.
So nimmt es denn auch nicht Wunder, dass die Pseudo-Linke in der AfD die grösste Bedrohung für ihr politisches Überleben ausmacht und mit entsprechend harscher Rhetorik auf die Konkurrenz reagiert.
Die der AfD zugeneigte Wählerschaft der Pseudo-Linken vermutet in der neuen Partei eine entschlossenere Opposition zur imperialen Rechten (= Kartell der bürgerlichen Parteien pro imperiale NATO/USA/EU) und zur imperialen Hegemonie, als dies die sog. Linkspartei – aufgrund ihres Kurses Richtung Hartz IV- und Kriegsparteien SPD und Grüne – praktiziert.
Die Hoffnung lautet, dass mit der AfD eine radikale Kraft gegen die herrschenden Verhältnissen die politische Bühne betritt. Aber ist das wirklich der Fall?
Ein umfassendes, längeres Grundsatzprogramm existiert nicht, mit Programm ist hier das von der Partei publizierte Wahlprogramm zur Bundestagswahl am 22. September 2013 gemeint, dieses ist auch Gegenstand der allgemeinen Debatte.[1]
Sozialpolitik
Was als Erstes auffällt, dass das Programm der AfD kaum soziale Forderungen aus dem aktuellen gesellschaftlichen Diskurs enthält. Weder die Forderungen oder Positionierungen zu einem gesetzlichen Mindestlohn, noch zu repressionsfreier Grundsicherung werden thematisiert.
Sozialpolitik aus sozialistischer Perspektive findet sich allein im Abschnitt “Alterssicherung und Familie”, bleibt jedoch, wie der grösste Teil des Programms, schwammig und unpräzise. Immerhin heisst es dort: „Wir stehen für den Schutz der Familie als Keimzelle der Gesellschaft. Eine solidarische Förderung der Familien ist eine Investition in unsere gemeinsame Zukunft und wesentlicher Teil des Generationenvertrages.“
Was man vermisst, nicht nur bei diesem Punkt, sind konkret fassbare Forderungen.
Die AfD hat also den Lohnabhängigen in Arbeit, sowie den Hartz IV-Opfern des Kapitalismus nichts zu sagen. Somit wird deutlich, dass sich die Partei grundsätzlich nicht an die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung mit ihren dringendsten Nöten richtet.
Die Kernkompetenz der AfD könnte man wohl unter dem Stichwort Völkerrecht, immerhin einem originär sozialistischen Thema, subsumieren, respektive dem Verhältnis Deutschlands zur Institution EU (Europäische Union).
Jedoch überraschenderweise bleibt die “Alternative für Deutschland” auch hier unbestimmt, um nicht zu sagen höchst inkonsequent.
Währungspolitik
Im Abschnitt “Währungspolitik” wird es stellenweise mal konkret: „Wir fordern eine geordnete Auflösung des Euro-Währungsgebietes. Deutschland braucht den Euro nicht. Anderen Ländern schadet der Euro. Wir fordern die Wiedereinführung nationaler Währungen oder die Schaffung kleinerer und stabilerer Währungsverbünde. Die Wiedereinführung der DM darf kein Tabu sein.
Wir fordern eine Änderung der Europäischen Verträge, um jedem Staat ein Ausscheiden aus dem Euro zu ermöglichen. Jedes Volk muss demokratisch über seine Währung entscheiden dürfen.“
Und mehr noch: „Wir fordern, dass die Kosten der sogenannten Rettungspolitik nicht vom Steuerzahler getragen werden. Banken, Hedge-Fonds und private Großanleger sind die Nutznießer dieser Politik. Sie müssen zuerst dafür geradestehen.
Wir fordern, dass hoffnungslos überschuldete Staaten durch einen Schuldenschnitt entschuldet werden. In der Schuldenkrise müssen Banken ihre Verluste selbst tragen oder zu Lasten ihrer privaten Großgläubiger stabilisiert werden.“
Warum nur „Auflösung des Euro-Währungsgebietes“? Warum nicht Auflösung der imperialen und zentralistischen Institution EU?
Warum nur „Schaffung kleinerer und stabilerer Währungsverbünde“, nicht aber auf den jeweiligen Kulturräumen basierende Konföderationen in Nord-, Süd- und Osteuropa?
Die Währungsfrage ist doch nur ein Teilaspekt in einem weit grösseren geopolitischen Kontext. Eine Veränderung, mithin Rückführung der Rechtsnormen zu nationalen Währungen geht doch keineswegs an die Wurzel der Probleme, wie sich diese aus der kapitalistischen “Globalisierung”, der internationalen Kapitalakkumulation und imperialen Entwicklung ergeben.
Was hier fehlt, ist eine Erläuterung, wozu diese Schritte eigentlich gut sein sollen, was man sich davon erhofft und schliesslich wohin konkret die Reise längerfristig führen soll?
Denn aus der Aneinanderreihung dieser Partikularforderungen erwächst weder ein politisches Ziel, noch eine nachvollziehbare, schlüssige Strategie.
Europapolitik
Auch der Abschnitt “Europapolitik” vermag nicht für Aufklärung zu sorgen, sondern setzt die programmatische Widersprüchlichkeit fort. So lesen wir dort: „Wir bejahen ein Europa souveräner Staaten mit einem gemeinsamen Binnenmarkt. Wir wollen in Freundschaft und guter Nachbarschaft zusammenleben.
Wir bestehen auf dem uneingeschränkten Budgetrecht der nationalen Parlamente. Eine Transferunion oder gar einen zentralisierten Europastaat lehnen wir entschieden ab.“
Aber: „Wir werden uns für eine Reform der EU stark machen, um die Brüsseler Bürokratie abzubauen und Transparenz und Bürgernähe zu fördern.“
Wieviel imperiale EU soll es denn nun sein?, bei dieser Frage bleibt der Leser ratlos zurück.
Entweder will man zurück zur Nationalstaatlichkeit, bspw. wie zu Zeiten der EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) oder aber die EU durch Reformen erhalten.
Ähnlich wie bei der pseudolinken sog. Linkspartei klingt hier ein Mangel an Konsequenz durch, nach dem Motto, wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.
Internationales Völkerrecht
Und wie anders können Völkerrecht und europäische Politik gedacht werden, als unter Berücksichtigung zweier ganz zentraler Fragen:
Einem Friedensvertrag für Deutschland und dem Austritt aus der NATO. Aber auch dazu kein Wort im AfD-Programm.
Unter “Rechtsstaatlichkeit und Demokratie” lesen wir weiter: „Das Handeln jeder deutschen Regierung findet seine Beschränkungen im Völkerrecht, im Grundgesetz und in den Europäischen Verträgen. Diese sind für unsere Gesellschaft von fundamentaler Bedeutung und strikt zu befolgen.“
Nun wird dort zumindest nicht behauptet, dass das BRD-Grundgesetz, etabliert durch die USA im Jahr 1949, eine Verfassung sei. Dieses jedoch in einem Atemzug mit dem Völkerrecht zu nennen, lässt Zweifel an der völkerrechtlichen Kompetenz der AfD aufkommen.
Auf Grundlage der imperialen Nachkriegsordnung unter Führung der USA lässt sich das internationale Völkerrecht weder in Europa, noch sonst wo verteidigen. Die europäischen Staaten sind heute Opfer transnationaler imperialistischer Interessen und Politik. Die Missachtung der völkerrechtlich gültigen deutschen Verfassung, der Weimarer Verfassung von 1919, ist strategischer Teil der imperialen Hegemonie und Geopolitik.
Die Institution EU ist kein aus dem Ruder gelaufener Betriebsunfall, den man durch Reformen wieder in die richtige Spur lenken kann, sondern das Ergebnis der gezielten Zerschlagung des internationalen Völkerrechts auch auf dem europäischen Kontinent.
Demokratie
Ihren demokratischen Charakter kommuniziert die AfD so: „Wir fordern eine Stärkung der Demokratie und der demokratischen Bürgerrechte. Wir wollen Volksabstimmungen und -initiativen nach Schweizer Vorbild einführen. Das gilt insbesondere für die Abtretung wichtiger Befugnisse an die EU.“
Der letzte Satz konterkariert die beiden vorstehenden. Denn bevor man Volksabstimmungen über die „Abtretung wichtiger Befugnisse an die EU“ initiieren möchte, wäre ersteinmal ein Volksvotum zum Beitritt zu einer solchen Institution einzuholen.
Es geht doch letztlich darum, das Konzept EU grundsätzlich zu hinterfragen, nicht diesem einen demokratischen Anstrich zu verpassen.
Einwanderung
Widersprüchlichkeit durchzieht das Programm wie ein roter Faden. Auch beim Punkt “Integrationspolitik”. Der Zusammenhang zwischen strategisch forcierter Masseneinwanderung nach Europa und der Negierung des internationalen Völkerrechts wird nicht hergestellt.
So lesen wir: „Wir fordern eine Neuordnung des Einwanderungsrechts. (…) Eine ungeordnete Zuwanderung in unsere Sozialsysteme muss unbedingt unterbunden werden“, um dann an anderer Stelle zu vernehmen: „Deutschland braucht qualifizierte und integrationswillige Zuwanderung.“
Einmal mehr nicht Fisch, nicht Fleisch.
Was Deutschland und seine 10 Millionen Arbeitslosen brauchen, ist Bildung, berufliche Aus- und Fortbildung, eine Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich, gesetzlichen Mindestlohn und repressionsfreie Grundsicherung.
Die Zuwanderung billiger Arbeitskräfte aus dem Ausland steht allein auf dem Wunschzettel des Kapitals, im Interesse der Lohnabhängigen ist das nicht.
Inwieweit Deutschland und andere europäische Länder Einwanderung brauchen und/oder wollen, ob integrationswillig oder nicht, darüber müssen die Bürger demokratisch selbst entscheiden können, auch dies ist Teil ihres Selbstbestimmungsrechts.
Konklusion
Die “Alternative für Deutschland” (AfD) greift einige virulente Themen auf, die durch den imperialen Mainstream und seine Medien ausgeblendet und zensiert, gleichwohl in der Bevölkerung immer stärker diskutiert werden.
Die Lösungsansätze der neuen Partei sind teils widersprüchlich, oft nicht konsequent und fokussieren allein auf Kapitalinteressen, nicht auf die Bedürfnisse der Lohnabhängigen und Opfer des Kapitalismus und der imperialen Entwicklung.
Insofern ist die Partei auf Grundlage ihres Programms als bürgerlich-liberale Alternative zur Bundestags-Einheitspartei einzustufen, nicht jedoch als wirkliche Opposition zur imperialen Rechten.
Dazu wäre es zumindest erforderlich, den Austritt aus der imperialen NATO zu fordern – Letzteres ist immer ein guter Gradmesser zur Positionsbestimmung.
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