EU: Griechenland am Scheideweg

100.000 Griechen haben sich an einem Marsch durch die Strassen beteiligt

- von Presseticker  -

D ie Lage in Athen bleibt angespannt. euronews hat mit dem russischen Journalisten und Kommentator Alexei Bogdanovsky (RIA Novosti) gesprochen, der die Ereignisse in der griechischen Hauptstadt verfolgt.

euronews: Die Reaktion der griechischen Bevölkerung auf die letzte Abstimmung im Parlament war nicht positiv und selbst jetzt kann man im Hintergrund hören, dass weiterhin protestiert wird. Kann der Regierungschef seine Pläne in diesem Kontext überhaupt umsetzen?

Bogdanovsky: Gerade jetzt erscheint das schwierig. Europa verliert das Vertrauen in die griechischen Spitzenpolitiker und in den letzten Jahren gab es zwischen beiden Seiten wenig Verständnis. Trotz der Milliardenkredite hat Griechenland nicht alle Reformen umgesetzt, die wir verlangt hatten.

Und umgekehrt halten die griechischen Politiker die Reformen für falsch, ebenso wie die Rezepte der EU und des IWF. Denn grundsätzlich wurde Griechenland aufgefordert, sein Bruttoinlandsprodukt zu reduzieren, seine Wirtschaft und die Inlandsnachfrage zu beschneiden in der Hoffnung, irgendwann zum Wachstum zurückzukehren.

Die Massenproteste, die wir auch letzte Nacht gesehen haben und die in der einen oder anderen Form andauern werden, machen die Situation noch schwieriger.

EU: Griechenland am Scheideweg

euronews: In seiner Rede an die Nation hat Regierungschef Papademos erklärt, das Land sei am Rand des Zusammenbruchs. Wenn man die Demonstrationen als Indikator nimmt: inwieweit sind die Griechen mit ihm einer Meinung?

Bogdanovsky: Viele Griechen stimmen nicht mit Papademos überein. Sie sehen ihn – nun, vielleicht nicht direkt als einen Agenten der EU-Politik, aber als jemanden, der die Interessen der EU unterstützt. Sie denken, dass die EU vor allem die Banken retten will, nicht die griechische Bevölkerung.

Und sie denken auch, dass die sozialen Verwerfungen, die Verarmung und all das, unvermeidbar sind, sie sehen keinen Grund, jene Maßnahmen weiterhin umzusetzen, die sich schon in der Vergangenheit als unwirksam erwiesen haben.

Die Angst vor dem Zusammenbruch ist real, aber viele Griechen denken, sie stehen sowieso schon am Abgrund. Ich denke nicht, dass diese Aussicht ihnen noch Angst einjagt.

euronews: Wie kann diese Atmosphäre des Misstrauens zwischen der griechischen Bevölkerung und den Politikern überwunden werden? Durch soziale Unruhen, endlosem zivilen Ungehorsam oder auf zivilisiertere Art, vielleicht bei den nächsten Wahlen?

Bogdanovsky: Die grosse Mehrheit der Menschen hat friedlich protestiert. 100.000 von ihnen haben sich an einem Marsch durch die Strassen beteiligt und nur ungefähr 1.000 von ihnen schlugen Schaufenster ein und steckten Gebäude in Brand.

Das zeigt uns, dass die Griechen sich zunächst dem friedlichen Protest verschrieben haben. Andererseits jedoch heizt sich die Stimmung auf, und politisch gesehen heisst das: wer immer die nächsten Wahlen gewinnt, es wird eine Art Protestwahl werden.

Die Lage wird sehr schwierig bleiben und die europäischen Partner versuchen, hervorzustreichen, dass, wer auch immer die Wahlen im April gewinnt, die bereits beschlossenen Einschnitte umsetzen muss.
Das heisst, dass Griechenland mehrere harte Jahre, Jahre einer sehr harten Wirtschaftspolitik, vor sich hat.

RF/euronews

mehr Nachrichten zum Thema

→ Griechenland: Der Volkszorn wächst, 13.02.2012
→ Griechen lehnen EU-Diktat ab, 10.02.2012

Schlagwörter # , , , , , , ,

Rote Fahne bezahlen