Interview Christine Assange, Mutter des Wikileaks-Gründers

„Ich bin in höchstem Maße beunruhigt, was mit meinem Sohn geschehen könnte.“

- von RF  -

J ulian Assanges Mutter traf am Mittwoch den Präsidenten Ecuadors Rafael Correa und andere Politiker des Landes, um den Fall ihres Sohnes und das beantragte politische Asyl zu erörtern.

Christine Assange gab RT-Korrespondentin und Juristin Eva Golinger in Quito, Ecuador ein Interview.

RT: Vielen Dank Christine, dass Sie heute Zeit für uns haben. Um zu beginnen; Wie denken Sie über die geleistete Arbeit Ihres Sohnes und den Effekt, welchen er auf die internationale und US-amerikanische Politik ausübt, und über die Reaktionen darauf?
Welche Wahrnehmung haben Sie als Mutter?

Christine Assange: Als Julian Wikileaks startete, sagte er mir, er wolle etwas für die Menschen unter repressiven Regimen tun, damit diese unterdrückte Informationen und Wahrheiten über ihre Länder öffentlich machen können.

Über vier Jahre machte er diese Arbeit, ohne dass sein Leben gefährdet war. Und er wurde für diese Arbeit ausgezeichnet.
Aber als dann Wikileaks die USA zum Thema machte, änderte sich alles.
Es scheint in Ordnung gewesen zu sein, Dokumente über andere Länder zu veröffentlichen, aber sobald die USA betroffen waren, wurde sein Leben bedroht.

In meiner Brust schlagen zwei Herzen; Als Mutter wünschte ich mir natürlich, dass er diese Arbeit nie begonnen hätte. Aber als Bürgerin sage ich, dass die Untersuchungen von Wikileaks und die geleistete Aufklärung zu Transparenz in der Welt, dem Missbrauch von Macht, Korruption, Entführungen, Erpressung, Folter und Betrug in grossen Finanzinstitutionen natürlich meine vollste Unterstützung haben.

RT: Können Sie ein wenig über Ihren Sohn erzählen? Wer ist Julian Assange?

Assange: Er ist nicht das, was viele Medien über ihn behaupten. Er ist eine sehr bescheiden lebende Person, in keinster Weise materialistisch.
Tatsächlich begnügt er sich mit einer recht bescheidenen Kleidung. Das Geld welches Wikileaks einnimmt, ist nicht für persönlichen Profit bestimmt. Die Mitarbeiter erhalten nur moderate Löhne, so auch Julian.
Es ging also nie darum, ein finanzielles Imperium zu kreieren, wie manche Leute behaupten.

Julian ist eine eher schüchterne Person. Er trat erst verstärkt vor die Medien, als die Akten aus den USA veröffentlich wurden, weil er gezwungen war, Wikileaks gegen Angriffe zu verteidigen. Das ist aber nicht wirklich sein Ding, vor den Kameras zu stehen.
Würden Sie ihn persönlich kennen, könnten Sie erleben, dass er etwas anders ist, als er vor Kameras rüber kommt. Er ist privat viel entspannter und hat einen sympathischen Humor, er lächelt und lacht viel.

RT: Konnten Sie sich vorstellen, dass der junge Julian später einmal so engagiert diese Arbeit machen würde?

Assange: Nein. Er wollte eigentlich Physiker werden, für Molekularphysik, ich erinnere nicht die genaue Bezeichnung. Er wollte die Quelle des Universums erforschen, das war seine Vorstellung. Und ich glaube, das ist in bestimmter Weise ähnlich. Es ging ihm immer um Wahrheit und Erkenntnis, sei es wissenschaftlich oder philosophisch.

Er verfügt also über einen unglaublich aufgeschlossenen Geist, schon als kleiner Junge. Er ist ein sehr kreativer Mensch. Als er fünf war spielte er sehr talentiert Mundharmonika und er kann auch malen und sehr schön schreiben.
Alles führte dazu, dass er schliesslich seine kreative Energie auf Wikileaks fokussierte, wo sich Journalismus mit Internet vereint.

Julian ist ein guter Vater, er war ein junger Vater. Viele Leute wissen nicht, dass er für viele Jahre alleinerziehender Vater war, weil die Mutter sich nicht um den gemeinsamen Sohn kümmern konnte.
Er musste das alleinige Sorgerecht ausüben, als sein Sohn 18 Monate alt war und sein Studium und seine Karriere aufgeben, um zu Hause bleiben zu können und meinen Enkelsohn aufzuziehen, bis dieser eingeschult wurde. Dann arbeitete Julian in Teilzeit, um auch weiterhin die Fürsorge und Erziehung für seinen Sohn wahrnehmen zu können.

RT: Hat er nur ein Kind?

Assange: Nein, es sind zwei.

RT: Er hat zwei Kinder?

Assange: Ich möchte nicht darüber sprechen, um die Familie zu schützen.

RT: Glauben Sie, dass das Leben Ihres Sohnes in Gefahr ist?

Assange: Absolut. Aus den USA wurde von Politikern und Kommentatoren sehr brutal nach seiner Ermordung verlangt. Es gab kein Halten mehr und es wurde ganz öffentlich zum brutalen Mord an meinem Sohn angestiftet.
Und sogar noch in den letzten Wochen, ich glaube es war in FOX News, verlangte ein Sprecher Julians Hinrichtung.

Und das für jemanden, der kein Recht gebrochen hat und nichts anderes tat, als was jeder gute, investigative Journalist tun würde: Die Wahrheit dem Bürger zugänglich machen. Dafür wurde er mehrfach ausgezeichnet.

RT: Nun sind Sie hier in Ecuador als Fürsprecherin für Ihren Sohn. Geht es dabei konkret um den Asylantrag?

Assange: Ja, so ist es. Das Aussenministerium lud mich ein, damit ich über die Situation in Australien Auskunft geben kann, bspw. zu der Frage, warum die dortige Regierung sich nicht um den Fall ihres Staatsbürgers kümmert.

RT: Können Sie uns dazu etwas erläutern?

Assange: Ja gerne. Unglücklicherweise haben wir in Australien eine Premierministerin, die nicht anders beschrieben werden kann, als eine Marionette der USA. Die Zustimmung zu ihrer Amtsführung ist auf 27 Prozent gefallen, die Leute sind mit der Regierungsarbeit sehr unzufrieden.

Und von Anfang an hat diese Premierministerin meinen Sohn in den Medien vorverurteilt. Das ist in Australien eigentlich unrecht, über einen Angeklagten zu sprechen und sich ein Urteil anzumaßen, noch bevor überhaupt ein Gerichtsverfahren stattgefunden hat.
Sie beeinflusste das Verfahren, indem sie verkündete, Assanges Arbeit sei illegal und bediente so die Position der USA.

Und obwohl die Australische Bundespolizei zwei Wochen später erklärte, dass Julian kein australisches Gesetz gebrochen hat und auch das US-Finanzministerium es abgelehnt hatte, gegen Wikileaks vorzugehen, weil kein Straftatbestand vorliegt, trotz alledem fuhr die Australische Premierministerin Julia Gillard fort, meinen Sohn in den Medien zu diffamieren.

Interview Christine Assange, Mutter des Wikileaks-Gründers

RT: Glauben Sie, dass die Australische Regierung Julian an die USA ausliefern würde, wenn sie die Möglichkeit dazu hätte?

Assange: Absolut. Das ist die grosse Sorge, auch da die USA ja ihre eigenen Bürger schon als Low-Level-Terroristen behandelt. Die USA rangieren unter den Top fünf Ländern weltweit, bei Hinrichtungen ihrer eigenen Bürger. Und diese Praxis eskalierte von einem pro Jahr in 1997 zu mittlerweile 98 Fällen jährlich. Das lässt nichts Gutes erahnen.

RT: Ihr Sohn wurde höchstwahrscheinlich zu Unrecht beschuldigt, er wurde bereits für über eineinhalb Jahre in Grossbritannien festgehalten. In den USA soll es bereits eine geheime Grand Jury gegen ihn geben, die verschiedene schwere Straftatbestände vorbereitet hat.
Was glauben Sie wird mit Julian passieren, wenn er an die USA ausgeliefert würde?

Assange: Nun, mir liegen die Informationen über den Fall des US-Soldaten Bradley Manning vor, der laut UN-Bericht unmenschlich behandelt und gefoltert wird, man kann sich also vorstellen, was passieren würde.

Ich war bei einer Veranstaltung zur Asylfrage in unserer Hauptstadt Canberra und einer der anderen Redner war der Australier David Hicks, der sechs Jahre in Guantánamo eingesperrt war.

Präsident Obama versprach bei seinem Amtsantritt das Lager Guantánamo zu schliessen. Aber es wurde nicht geschlossen und während wir hier sprechen, werden Millionen in die Modernisierung des Lagers investiert. Und David berichtete den Zuhörern über die Behandlung in Guantánamo.
Und ähnliches müssen wir auch für Julian befürchten, wenn nicht noch Schlimmeres, denn David Hicks war ein eher kleinerer Fall.

Von daher bin ich in höchstem Maße beunruhigt, was mit meinem Sohn geschehen könnte.

RT: Sie sind also hier in Ecuador zur Unterstützung des Asylantrags. Sie trafen den Aussenminister und den Präsidenten. Glauben Sie, dass Julian hier politisches Asyl erhalten wird?

Assange: Das kann ich nicht sagen. Alles was ich sagen kann ist, das ich sehr beeindruckt war von der hohen Sachkenntnis des Aussenministers und des Präsidenten in diesem Fall. Man ist hier wesentlich besser informiert, als meine eigene Regierung in Australien, die entweder den Fall nicht versteht, oder aber die australische Öffentlichkeit bewusst falsch informiert.

Die Leute hier sind sehr entgegenkommend, ich wurde warmherzig aufgenommen und fühle mich sehr wohl unter diesen guten Menschen. Ich meine, dass deren Sorge um Julian aufrichtig ist.
Sie brachten zum Ausdruck, dass Julians Fall politisch motiviert ist und dass das Recht gebrochen wurde, die Rechte meines Sohnes verletzt werden.

Und sie versicherten mir, dass sie alle Details gewissenhaft untersuchen, jeden Stein umdrehen werden, um die Wahrheit zu ermitteln, so dass sie eine fundierte Entscheidung verkünden können.
Das ist alles, was ich in der jetzigen Phase von ihnen erwarte.

RT: Die von Wikileaks veröffentlichten Dokumente waren für viele Journalisten nützlich, weil dadurch Belege für das illegale Eingreifen der USA in die inneren Angelegenheiten anderer Länder dokumentiert wurden.

Assange: Der Fall der mich am meisten bewegte, waren die Enthüllungen über Haiti. Haben Sie die Haiti-Dokumente gelesen?

RT: Ja, viele davon, sicher.

Assange: Die USA haben da ihren Vorteil aus dem erschütternden Schicksal eines armen Landes, aus dem Erdbeben gezogen und haben Haiti erpresst, nach ihren Regeln zu spielen oder aber keine Hilfsgüter zu erhalten. Und sie haben die Bemühungen Venezuelas blockiert die Kosten für Ölimporte auf 60 Prozent zu senken, damit Haiti seine Krankenhäuser und Schulen wieder aufbauen kann.

Und dann sendet die US-Botschaft in Haiti eine Nachricht in die USA mit der Mitteilung „der Goldrausch ist eröffnet“, zu den selben Vertragsfirmen, die bereits aus dem Hurricane Katrina Profit geschlagen haben.

Nachdem ich dieses Dossier gelesen hatte, war ich bedient. Ich sah mir auch andere Fälle an, aber dieser berührte mein Herz am meisten. Diese völlige Abwesenheit von Ethik und der brutale Materialismus gegenüber einem armen Land in seiner schlimmsten Not.

RT: Tausend Dank, dass Sie sich für uns die Zeit zum Interview genommen haben.

Assange: Ich danke Ihnen.

RF/RT

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