Palästina: Interview mit Mahmud Abbas

Wir sind ein Volk, das unter einem Besatzungsregime lebt. Wir verlangen Unabhängigkeit. Wir vertrauen auf den Frieden, auf internationales Recht

- von Presseticker  -

D er Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, besucht Paris. Hier kann er einen ersten Erfolg auf dem Weg zur Anerkennung Palästinas verzeichnen. Als erste Organisation des UNO-Systems hat die UNESCO Palästina aufgenommen, obwohl die USA daraufhin keinen Beitrag mehr zahlen. Und der macht immerhin 22 Prozent des UNESCO-Jahresbudgets aus.

Mahmud Abbas: Die Aufnahme Palästinas in die UNESCO bedeutet politisch und moralisch sehr viel. Wir hatten zur gleichen Zeit im UN-Sicherheitsrat auch um Aufnahme in die Vereinten Nationen gebeten. Die UNESCO ist wichtig für enge Beziehungen mit Menschen in aller Welt.

Palästina: Interview mit Mahmud Abbas

euronews: Daraufhin zahlen die USA keinen Beitrag mehr an die UNESCO…

Abbas: Die Gründe, die die USA dafür anführen, sind nicht überzeugend. Warum tun sie das? Es heisst, seit 1989 gebe es ein Gesetz, das es den Vereinigten Staaten verbiete, Organisationen zu finanzieren, die mit Terrorismus in Verbindung zu bringen sind.

Wir antworten darauf, dass wir keine Terroristen sind. Dieses Attribut, das uns da vor 22 Jahren angehängt wurde, trifft nicht mehr zu. Ein Beweis dafür ist, dass Palästina politische und wirtschaftliche Beziehungen zu den USA unterhält, die im Nahost-Quartett für die Lösung des Palästinenserproblems mitarbeiten. Die USA sagen trotzdem, das alte Gesetz könne nicht geändert werden. Das ist eine nicht gerechtfertigte Position, es ist unlogisch, wenn sie sagen, die Beziehungen seien unterbrochen worden.

euronews: Wie steht es um Ihren Dialog mit der Hamas?

Abbas: Vor etwa einem Monat habe ich mit Chaled Maschal gesprochen. Wir haben Grundlagen gelegt für eine eventuelle Vereinbarung. Erstmalig hat die Hamas uns in folgenden Punkten zugestimmt:

1. Ruhe und Frieden müssen im Gazastreifen wie im Westjordanland herrschen
2. Es darf nur friedlichen Widerstand geben, ohne Waffen. Darin sind wir uns grundsätzlich einig.
3. Grundlage für den Palästinenserstaat sind die Grenzen von 1967. Auch damit ist die Hamas einverstanden.
4. Wir organisieren Parlamentswahlen für den 5. Mai 2012.

Über diese Punkte muss noch weiter gesprochen werden. Am 18. Dezember werden wir eine Studie vorstellen zu einem Punkt, der für die PLO sehr wichtig ist. Darin geht es um die Zusammenarbeit aller Palästinenser-Fraktionen, die die Positionen der PLO anerkennen. Darüber wird vom 18. bis 21. Dezember in Kairo gesprochen.

euronews: Israel hat Palästinenser freigelassen. Hatte Sie das erwartet?

Abbas: Passiert ist folgendes: Der israelische Soldat Schalit wurde entführt. Fünf Jahre wurde zwischen Israelis und Hamas unter Vermittlung Ägyptens über seine Freilassung verhandelt. Zeitweise waren waren auch Deutsche eingebunden, um den Gefangenenaustausch einzufädeln.

Es ging um 1027 palästinensische Häftlinge. 400 kamen zuerst frei, die anderen später. Ich hatte mit dem damaligen israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert vereinbart: Wenn Schalit freigelassen wird, wird Israel im Gegenzug im Rahmen einer Absprache mit der Hamas palästinensische Häftlinge freilassen. Olmerts Nachfolger Netanjahu hat diese Vereinbarung aufgekündigt.

Obwohl Präsident Obama sich eingeschaltet und mit Natanjahu über die Freilassung der Häftlinge gesprochen hatte. Als man mir zunächst mitteilte, Netanjahu sei einverstanden, habe ich sofort signalisiert, ich bin es auch. Aber dann gerieten die Absprachen in Vergessenheit. Bei der Freilassung der Gefangenen ging es nicht nur um guten Willen. Da war auch Druck im Spiel, von beiden seiten.

euronews: Herr Präsident, welchen Einfluß hat die jüngste Entwicklung in Syrien auf die Situation in der Region und besonders auf das Palästinenserproblem?

Abbas: Die offizielle Sichtweise lautet: Wir sind nicht verwickelt in das, was da geschieht. Wir wollen uns auch nicht einmischen. Aber wir achten den Willen der Bevölkerung. Wir erkennen die Forderungen des Volkes an. Aber wir mischen uns nicht ein, nicht in Tunesien, nicht in Ägypten und nicht in Syrien.

Wir beobachten natürlich die Ereignisse in Syrien, mehr aber nicht! Und natürlich leiden wir mit den Opfern, betrauern die Toten u nd alle Menschen, die bei den Zusammenstößen zu Schaden kommen. Aber unsere Position ist so, wie ich sie erklärt habe.

euronews: Sie haben in Paris den französischen Präsidenten Sarkozy getroffen, in Brüssel den Präsidenten der EU-Kommission, Island hat den Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967 anerkannt…

Abbas: Wir sind ein Volk, das unter einem Besatzungsregime lebt. Wir verlangen Unabhängigkeit. Wir vertrauen auf den Frieden, auf internationales Recht. Wir praktizieren eine Kultur des Friedens in unserem Land. Wir haben die kompletten institutionen aufgebaut.
Die Weltbank, der Internationale Währungsfond und andere Geldgeber stellen uns ein positives Zeugnis aus. Sie sagen, dass unsere Konten transparent sind und dass man eine solche Transparenz nicht in allen Ländern findet. Was fehlt uns also noch?

Das grundlegende Problem ist, Israel ist gegen unseren Staat und wird dabei von den USA unterstützt. Wir führen unentwegt Gespräche, um sie davon zu überzeugen, dass der Frieden nicht nur im Interesse der Palästinenser liegt sondern auch der Israelis und der ganzen Region. Also internationational.
Folglich muss man Druck machen auf jene, die das ablehnen, die den Frieden verhindern. Ich sage ihnen: hier ist unsere Position. Sagt mir in aller Klarheit, wo mein Fehler liegt und ich bin bereit, ihn zu korrigieren. Aber man findet keinen solchen Fehler.

2011-12-20 22:00 – euronews

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