Alles auf den Prüfstand. Texte zur DDR-Geschichte im “Neuen Deutschland”

Mit der Politik der DDR und der Sowjetunion wurde die Suche nach Wegen zu und in einer neuen Gesellschaft mit einer Niederlage beendet. Die Notwendigkeit eine Gesellschaft jenseits der kapitalistischen und stalinistischen Barbarei zu gestalten hat sich damit nicht erledigt.

- von Presseticker  -

V on Bernd Wittich (via facebook) – Nun sind die Geschichtsdebatten zur DDR aus dem Neuen Deutschland als Buchpublikation vorgelegt wurden. Das kann als Reaktion auf die jüngste „Anti-Kommunismuserregung“ in den deutschen Medien oder eben auch als Beitrag zur Programmdebatte der Partei DIE LINKE gewertet werden. Die Partei ist mit sich zufrieden, nun steht im Programmentwurf von 2011 eine Formel der SED/PDS von 1989 zum „Stalinismus als System“. 22 Jahre nach dem Ende der DDR kein Grund zur Zufriedenheit!

1. Die Rückblicke auf die DDR-Geschichte wandeln sich, schließlich betreiben Menschen Geschichte um Fragen der Gegenwart und Zukunft zu beantworten.

Da hat die SBZ/DDR-Geschichte von 1945 bis 1989 einiges an Stoff zu bieten.

Wie organisiert man nach der Enteignung des Kapitals die Wirtschaft, die demokratische Mitbestimmung im Betrieb? Wie verändert sich die Rolle der Gewerkschaften, wenn die „Arbeitnehmer“ zugleich die Eigentümer sind? Wie kann das vergesellschaftete Eigentum davor bewahrt werden zu Niemands-Eigentum zu werden und infolge von Verantwortungslosigkeit verloren geht?
Wie kann das „Haben-wollen“ zu Gunsten des „Seins“ zurückgenommen werden, wenn doch in den früheren und in den anderen Lebenswelten nur der Geld-Reichtum zählt? Wie kann demokratisch mit knappen Ressourcen umgegangen werden? Wie kann eine neue Solidarität, ein neues Verhältnis zwischen ICH und WIR entstehen?

Wie kann mit Andersdenkenden so umgegangen werden, dass diese Menschen gehört, ernst genommen, als gleichwertig Menschen behandelt werden. Wie geht eine „Gesellschaft der Arbeit“ mit nicht leistungsfähigen Menschen um? Wie viele soziale Ungleichheit und Wettbewerb braucht bzw. verträgt eine Gesellschaft zu ihrer Entwicklung? Was heißt demokratische Erziehung? Unter welchen Bedingungen bleibt in einer repräsentativen Demokratie der demokratische Gehalt erhalten?

Falsche Fragen ergeben oft die falschen Antworten. Was war das MfS? „Das Ministerium für Staatssicherheit war ein Geheimdienst wie jeder andere in der Welt“. Vielmehr sollte DIE LINKE couragiert Stellung nehmen zu den Diensten in der DDR, stets geführt von der SED und ebenso sollte DIE LINKE die Existenz und das wirken der Geheimdienste in der heutigen Gesellschaft in Frage stellen!

Was war die Mauer? „Ein antifaschistischer Schutzwall gegen die Feinde der DDR. Schließlich schützen auch andere Staaten ihre Grenzen mit Mauern (etwa die USA zu Mexiko oder Israel)“. DIE LINKE sollte jedoch jegliche Praxis und Prinzipien militanter Abgrenzung in Frage stellen.

Warum gab es Berufsverbote? „Der Staat kann Treue und Gehorsam fordern, das machen alle Staaten“. (Nachsatz, so ein Richter zu mir 1988, ich hätte ja mit meiner Kritik an der SED und der DDR wissentlich und freiwillig einen Zustand herbeigeführt, von dem ich wissen konnte, das er zum Verlust des Rechtes der Berufsausübung als Lehrer führen würde.)
Ich sei also selber Schuld und schließlich gäbe es ja Berufsverbote auch in anderen Staaten, zum Beispiel der Bundesrepublik. DIE LINKE sollte jedoch jegliche Praxis von Berufsverboten, seien sie politisch-juristisch oder über soziale Ausgrenzungsmechanismen erwirkt, verurteilen.

Bei einem Treffen von jungen Telekommitarbeitern mit einem Betriebsrat und einem früheren SED-Wirtschaftssekretär zum Zeitzeugengespräch über die DDR wurden sich die Beteiligten einig, wer sich anpasst und gute Arbeit leistet, der könne auch ein gutes Leben führen, damals in der DDR und heute!
Und – Querulanten gäbe es ja überall, die seien halt selber schuld. DIE LINKE sollte selbständiges Denken und Handeln fördern und für die Inanspruchnahme der Freiheitsrechte die notwendigen gesellschaftlichen Voraussetzungen (soziale und politische Teilhabe) fordern.

2. Die Rückblicke auf die DDR-Geschichte wandeln sich mit dem zeitlichen Abstand und dem Referenzrahmen, indem stets auch die aktuellen Probleme der heutigen Gesellschaften (Ost und West) in der Bundesrepublik Deutschland und die konkreten Interessenlagen derjenigen eingehen, die sich mit der DDR befassen.

Der gelernte DDR-Bürger kann heute besser verstehen, welche Probleme seiner Gesellschaft spezifische und welche eher allgemeinen Probleme gesellschaftlicher Prozesse sind. Dazu gehört nun auch der Vergleich der Erfahrungen mit den Partei-, Staats- und Gewerkschaftsbürokratien Ost zu West und mit den Mediensystemen.
Das relativiert manches Urteil, sollte aber Linke auch dazu ermutigen, die Maßstäbe ihrer DDR-Gesellschaftskritik ebenso konsequent auf die heutige Gesellschaft anzuwenden und nicht die DDR-Verhältnisse im Nachhinein mit der Überlegung zu relativieren „ein bisschen Geheimdienst, ein bisschen Willkür“ gibt’s halt überall.

DIE LINKE sollte konsequent linke, demokratische, emanzipatorische Wertmaßstäbe an den realen Sozialismus anlegen, freilich unter Beachtung von Entwicklungsprozessen und dem Wirken der konkreten materiellen und ideellen Bedingungen.

Heute haben Millionen Ostdeutsche die Erfahrung von Armut und Erwerbslosigkeit, in ihre Körper sind aber die Gefühle eines anderen Lebens – ohne Armut und Erwerbslosigkeit – eingeschrieben. Vielleicht hilft diese soziale Erinnerung dabei, sich mit der heutigen Welt nicht resignierend abzufinden oder die Probleme klein zu reden!
Aber die einzelnen „Rechnungsposten“ zu Gunsten der DDR sind nicht verrechenbar mit Freiheitseinschränkungen und Terror gegenüber Andersdenkenden. Wohnungsnot in der DDR ist nicht aufzurechnen gegen Mietwucher West, Pflegenotstand West nicht gegen Pflegenotstand und Altersarmut Ost und politische Anpassung Ost nicht gegen Anpassung auf dem Arbeitsmarkt West.

Schon im kalten Krieg suchten die Herrschenden West den „Brüdern und Schwestern“ hinter der Mauer klar zu machen, Dachdecker und Maurer können keinen Staat machen! DIE LINKE muss die Überzeugung ins Volk tragen, das Selbstvertrauen stärkend „Wir sind das Volk“ und wir können uns von den Regierenden unabhängig machen und eine neue Welt bauen!

3. Der „Kalte Krieg“ scheint nicht beendet, sondern mit dem Sozialabbau in den kapitalistischen Metropolen, neuen Kriegen und neu-kolonialen Großprojekten der imperialen Mächte USA, EU und China scheint er eher seiner „Vollendung“ entgegen zu streben.
Als 1989 Francis Fukuyama das „Ende der Geschichte“ ausrief erhob er den Systemkonflikt überlebenden marktradikalen Kapitalismus zum „Sieger der Geschichte“, zur alternativlosen Norm. Der entfesselte Kapitalismus ringt heute um seinen totalitären Sieg!

Eine solche Politik braucht die Leugnung der Notwendigkeit, der Möglichkeit und der Legitimität alternativer Gesellschaftsentwürfe eines demokratischen grünen Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Eine Begleitmusik ist die allgegenwärtige Geschichtspolitik der „Delegitimation“ der DDR von Anfang an ihrer Geschichte.

Mit der Politik der DDR und der Sowjetunion wurde die Suche nach Wegen zu und in einer neuen Gesellschaft mit einer Niederlage beendet. Die Notwendigkeit eine Gesellschaft jenseits der kapitalistischen und stalinistischen Barbarei zu gestalten hat sich damit nicht erledigt.
Das Ende der DDR zeigt nicht, das es eine neue solidarische Gesellschaft nicht braucht oder eine solche nicht möglich ist, sondern es zeigt, dass unter den damals herrschenden Kräfteverhältnissen und mit der praktizierten Ideologie und Politik eine wahrhaft neue humanistische Gesellschaft verhindert wurde.

4. Linke West irren sich, wenn sie meinen, sie könnten der Beschäftigung mit der DDR-Geschichte entbehren.

Neues Deutschland (ND) 11.03.1953

Neues Deutschland (ND) 11.03.1953

Einerseits, weil aus den realen Verhältnissen in der DDR allzu leicht Anti-Linke Munition gefertigt werden kann (und wird) und andererseits weil Irrtümer, Sackgassen, Fehler, unvollendet gebliebene Ansätze für eine neue Gesellschaft einen reichen Lernstoff für Zukünftiges zu bieten vermögen.
Die schlechten Seiten der guten, diese Dialektik mag schwer erträglich sein, aber DIE LINKE muss sich schon die Frage gefallen lassen, wie viel Diktatur und Menschenrechtsverletzungen sie für „Arbeit für alle“, für polytechnische Oberschulen und Polikliniken in Kauf zu nehmen bereit sei.
Die „guten Momente“ rechtfertigen eben nicht die antiemanzipatorische Grundtendenz des autoritären – letztlich reaktionären – politischen Systems. Die DDR war in Praxis kein Staat der Arbeiter und Bauern, sondern es regierte eine Partei und deren Verbündeten, fasst immer ohne das Volk und oft gegen das Volk. Die Enteignung der alten Eigentümerklassen war auch in der DDR die Kriegserklärung an das Kapital, in der Logik der Hüter der Heiligkeit des Eigentums war dies das Kardinalverbrechen der DDR. (Die Treuhand hat das korrigiert!)

Die linke Kritik jedoch hat sich mit der Frage zu befassen, warum der Vergesellschaftungsprozess von Macht und Eigentum in sozialistischer Richtung gründlich misslang. Wer dem Kapital den Krieg in einer geteilten Nation erklärt, der darf sich nicht wundern, dass dann in Deutschland und Europa, ein kalter Krieg am Abgrund zum heißen entfesselt wurde. Mit allem was dazu gehörte: Sabotage, Spionage. Embargo, Hetze, Wett-Tot-Rüstung, Hallstein Alleinvertretungsanmaßung usw. usw.
Die DDR wurde zum Polizeistaat und mauerte die absolute Mehrheit ihrer Bevölkerung ein, „Republikflucht“ wurde zum todeswürdigen Verbrechen.

Fragt die heutige Linke, wie die Transformation der Gesellschaft demokratisch, ohne Terror gegen den Widerstand des Kapitals gelingen kann? Ist sie sich der Tatsache bewusst, dass eine freie Gesellschaft nur von Freien geschaffen werden kann?

Die DDR hatte keinen „guten Anfang“. Das Land wurde militärisch befreit und besetzt. Das Volk im post-faschistische SBZ/DDR-Deutschland war weder 1946 noch 1949 oder 1952 für den Aufbau des Sozialismus sowjet-kommunistischer Prägung bereit.
Die demokratischen, die sozialistischen und emanzipatorischen Potenziale waren schwach und regten sie sich, so wurden sie brutal von der Besatzungsmacht in Übereinstimmung mit der SED-Führung niedergehalten. Die große Übereinstimmung der Antifaschisten nach dem Fall Hitlerdeutschlands war und ist ein Mythos, ein ideologisches Konstrukt zur geschichtspolitischen Legitimation der Ein-Parteien-Herrschaft, verklärt als „führende Rolle“ und dazu verwandt, sich von Anfang an keiner demokratischen Wahlentscheidung zu stellen.
Wenn anfänglich noch eine Volksmehrheit für die Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher und deren wirtschaftlichen Hintermänner stimmte, so doch nicht für die Parteidiktatur.

Die SED, viele ihrer Mitglieder, wirkten aktiv antidemokratisch, einige begingen Verbrechen auf Beschluss der SED und auf Weisung des Staates DDR. Die vorherrschende Ideologie und die Strukturen der SED waren antidemokratisch, geprägt von einer geteilten Humanitas.
Den Bürgern wurde Meinungs- und Versammlungsfreiheit verweigert, die Pressefreiheit gab es nicht! Von der Kinderkrippe bis zur Universität war es das erklärte Ziel zur bedingungslosen Staatstreue zu erziehen. Es wurde Gefolgschaft eingefordert und der Geist mit den Mitteln des Zensurverbrechens an die Kette gelegt!

Mit einer Absage an den Stalinismus „als System“ ist der notwendige Lernprozess der Partei in den beiden Gesellschaften in Deutschland nicht erledigt. Die PDS hat zwar ihren Reformkräften die Verurteilung des Stalinismus als System zugestanden, aber um den Preis, die Stalinisten in ihren Reihen zu tolerieren, wenn diese wenigsten den Mund halten.

Die Zeiten haben sich geändert, heute macht Lafontaine und die Sozialistische Linke allzu leichtfertig ein Bündnis mit den SED-Stalinisten und den Trotzkisten gegen die ostdeutsche Reformlinke. Die ersteren werden eben auch mit gefälligen Aussagen zur DDR-Geschichte umworben.

Nach Schumann´s „Absage“ hat die PDS sich an den beiden Enquete des Deutschen Bundestages beteiligt. Dr. Dietmar Keller vertrat die Partei in der Enquete. Im Ergebnis seines links-sozialistischen SED- und DDR-kritischen Engagements wurde der Mann aus der Partei gemobbt.
Inzwischen ist die Flut der Literatur zur Geschichtsklitterung durch Vertreter der alten DDR-Eliten auf viele Meter angeschwollen, stets begleitet davon, sich vor der Linken der Verantwortung für ihr Handeln zu entziehen, mit dem Argument, all ihr anti-demokratisches Handeln sei eben eine Folge des „Klassenkampfes“ gewesen (die andere Seite sei ja auch nicht anders) und manchmal eben auch das Resultat sowjetischen Drucks.

Hier ist Widerspruch angesagt, die SED hat den Pfad zum Sozialismus verlassen, das Volk und die sozialistische Ideen verraten. Wenn es eine große Kraft der Konterrevolution gab, dann war es der politisch-ideologische Apparat der SED und dessen willige Vollstrecker an Hochschulen, im Geheimdienst, in den Grenztruppen usw.
Diese Tatsache will DIE LINKE den Alt-Parteimitgliedern Ost und den nachgewachsenen DDR-Schwärmern nicht zumuten. Die Linken in der Partei DIE LINKE sollten aber genau dies einfordern.

Abschließend: Gregor Gysi hob kürzlich zu einer Ernst Bloch Veranstaltung in Ludwigshafen/Rhn. hervor, DIE LINKE habe aus der DDR-Erfahrung gelernt, nämlich: Jeden/r Meinungsfreiheit zu gewähren, jede/r können reden.
Aber: Wird auch zugehört? Wird auch geantwortet? Gibt es eine gelebte Pflicht zur Transparenz und Rechenschaft in den politischen Angelegenheiten?

In der Partei DIE LINKE gibt es heute und dies ist nicht nur ein aus dem Osten importiertes Defizit – subtile Mechanismen zur Ausgrenzung von Teilen der Parteibasis aus allen innerparteilichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen.

Bleibt zu hoffen, dass die Auseinandersetzung um die DDR-Geschichte in der Partei DIE LINKE eines Tages noch eine offene und öffentliche in Ost und West wird.

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